Sarum
ein Blitz eingeschlagen. Verwundete britische Soldaten, die Englands gerechten und notwendigen Kampf fochten, um das Vordringen des despotischen Zaren Nikolaus auf der Krim aufzuhalten, vegetierten unter den fürchterlichsten Bedingungen im Lazarett von Scutari wie die Tiere dahin.
Es war eine Herausforderung für das Empire. Selbst die verbündeten Franzosen schickten fünfzig Barmherzige Schwestern als Pflegerinnen dorthin. Durfte England unter diesen Umständen zurückstehen? Jane Shockley hatte den Aufruf in der Times, in dem Schwestern gesucht wurden, einige Tage danach gelesen. Sie war unentschlossen. Da traf sie zufällig in Wilton Mrs. Sidney Herbert. »Stellt Euch wenigstens vor.« Diese Ermutigung genügte ihr. Sidney Herbert und seine Frau waren Freunde der hochverehrten Miss Nightingale mit ihrem kleinen Damenstift in der Harley Street. Mr. Herbert war außerdem Hilfsgeistlicher für die Armee. Die Herberts und Florence Nightingale reagierten rasch auf den Aufruf. Die Auswahl der Pflegerinnen begann drei Tage nach dem Erscheinen des Zeitungsartikels am Belgrave Square.
Jane wurde von Miss Stanley und Mrs. Bracebridge interviewt. Sie waren freundlich, aber auch ganz offen.
»Eure Qualifikation als Lehrerin ist hervorragend, aber Ihr habt keine Ausbildung als Krankenschwester.«
»Ich dachte, daß man vielleicht ein paar Freiwillige benötigt, die angelernt werden«, meinte Jane. »Ist es denn nicht schwierig, ausgebildete Schwestern zu finden?«
Die beiden Damen lächelten bedauernd. »Doch. Aber wir finden schon welche.«
»Diese Frauen müssen doch eine große Opferbereitschaft mitbringen«, sagte Jane.
Die unerwartete Stimme hinter ihr war messerscharf. »Nein, absolut nicht.«
Jane hatte die Frau nicht hereinkommen hören. Es bestand kein Zweifel darüber, wer sie war. Sie ging zum Tisch. »Die Frauen kommen vor allem wegen des Verdienstes.« Ein klares, sympathisches Gesicht, durchdringende Augen, ein belustigter Zug um den Mund. »Ihr seht ja ganz betroffen drein«, lachte sie. »Keine davon, außer vielleicht einer, hat die Berufung, das Gefühl einer Mission«, sie rümpfte die Nase, »bis jetzt jedenfalls.« Sie musterte Jane. »Immerhin haben sie eine Ausbildung. Wollt Ihr tatsächlich Krankenschwester werden?«
»Ja.« Jane glaubte es zumindest.
»Laßt Euch in einem Krankenhaus ausbilden. Dann kann ich Euch gebrauchen.«
»Das werde ich machen.«
»Ein großes Empire braucht viele aufopfernde Diener«, lächelte die großartige Frau. »Viel Glück!« Empire und Dienen.
Ein britisches Weltreich, das sich über den ganzen Erdball erstreckte, das, geführt von starken Männern wie Palmerston, jeden rasch zur Räson bringen würde, der es versäumte, seinen Bürgern Achtung entgegenzubringen; ein Weltreich, in dem Engländer, dank dem Freihandel und Mr. Gladstones niedrigen Steuern, reich wurden. Empire und Freihandel – diese Kombination war für die meisten englischen Städte, selbst für das verschlafene Salisbury, von Vorteil.
Dienen und Empire: der mächtigen East India Company dienen und dabei gut leben – als Offiziere, Verwaltungsbeamte, Missionare. Dies, zum Beispiel, taten Shockleys aus Sarum. Für Jane waren die Briefe ihres Bruders Bernard von seiner Plantage in Indien oder ihres Onkels Stephen, der als Missionar in Afrika lebte, stets eine besondere Freude – Nachrichten aus der weiten, erregenden Welt des Empire. Jane hatte eine konventionelle Erziehung in Salisbury genossen. Wenn auch ihr Vater, Ralphs ältester Sohn, an Schwindsucht starb, als sie erst neun Jahre alt war, war Frances Porteus passenderweise im gleichen Jahr gestorben und hatte ihnen die Pacht ihres Hauses auf dem Kathedralgelände und ein bescheidenes Vermögen obendrein hinterlassen. »Einer guten Heirat steht für dich nichts im Wege«, sagte ihre Mutter immer. Es gab genügend nette Gesellschaft in Sarum, gute Familien im näheren oder weiteren Umkreis mit gebildeten jungen Männern, die gern ein wohlerzogenes Mädchen mit etwas Geld heiraten würden. »Warum willst du denn immerzu etwas anderes?«
»Ich weiß nicht, Mama.«
Sie hatte darauf bestanden, ein Lehrerseminar zu besuchen. Die jungen Damen erhielten dort eine strenge Ausbildung, die sie für das Lehramt befähigte, falls die familiären Umstände sie zu einem Beruf zwangen, oder sie auch in die Lage versetzte, einen Haushalt zu führen, wenn alles gutging und sie einen Ehemann fanden.
Jane hatte darauf bestanden, Lehrerin zu werden.
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