Sarum
etwas möglich? »Ihr braucht Euch in diesem Fall keine Gedanken zu machen. Der Bischof ist meiner Meinung. Er findet auch, daß Ralph zurückkommen sollte.«
»Aber ich, Mrs. Porteus, denke vielleicht anders darüber«, erwiderte er schroff.
»Dann hoffe ich, daß Ihr die Angelegenheit nochmals überdenken werdet. Wenn nicht, verlasse ich dieses Haus und bitte meine Schwägerin, mich in der New Street aufzunehmen.«
Er traute seinen Ohren nicht, doch er merkte, daß es ihr absolut ernst war. »Aber… meine Position!«
»Für Eure Position, Kanonikus, wäre die Rückkehr meines Bruders in jeder Beziehung von Vorteil. Ich würde sogar meinen, daß Ihr ihm großzügig vergeben solltet«, fügte sie trocken hinzu, »das könnte Euch eine weitere Pfründe sichern.«
»Ich stelle fest, daß Euer Verhalten mir gegenüber sich sehr verändert hat, Mrs. Porteus.«
»Falls Ihr Ralph gegenüber Nachsicht üben wollt, Kanonikus, wird mein Verhalten Euch gegenüber in Zukunft so sein, wie Ihr es wünscht – wie es bisher gewesen ist«, entgegnete sie. »Ich werde die Sache sorgfältig erwägen.«
»Danke.« Leise schloß sie die Tür und ging.
Eine weitere kleine Unterredung fand eine Woche später in Mr. Porteus’ Wohnzimmer zwischen Agnes und Doktor Barnikel statt. Diesmal nahm sie seine Hand.
»Ich bin mir bewußt, Doktor, daß Ihr Euch zu mir hingezogen fühlt.« Er neigte den Kopf in schweigender Zustimmung. »Bevor mein Mann zurückkommt«, fuhr sie sanft fort, »möchte ich, daß Ihr eines wißt: Wären die Umstände andere gewesen«, sie schenkte ihm ein liebevolles Lächeln, »und ich nicht bereits verheiratet, wäre diese Zuneigung erwidert worden.«
»Das ehrt mich.« Seine Stimme klang heiser.
»Ich danke Euch, Doktor, daß Ihr immer so freundlich zu mir wart und immer den Anstand gewahrt habt.«
1830
Agnes regelte die Angelegenheit, und Ralph wußte das zu schätzen.
»Du magst über Reformen denken, wie du willst; aber ich möchte nicht noch einmal solche Schwierigkeiten erleben, und deine Kinder sollen es auch nicht. Du mußt mir versprechen, geduldiger zu werden.« Bei seiner Rückkehr versprach Ralph es. »Ich habe wirklich nicht geglaubt, daß es in England zwanzig Jahre lang keine Reform geben würde«, meinte er kleinlaut.
Das erste Viertel des neunzehnten Jahrhunderts war eine merkwürdig glücklose Periode. In späterer Zeit erinnerten sich die Menschen trotzdem gern daran wegen Wellingtons großer Siege über die Franzosen, wegen der farbigen, extravaganten Regierungszeit Georgs IV, wegen der Dichter Wordsworth, Coleridge, Keats, Shelley und wegen des seltsamen, schwermütigen Byron; wegen der Romanciers Jane Austen und Walter Scott. Doch dies waren Lichtpunkte in einer ansonsten düsteren Welt. Ralph hatte seine Arbeit in der Schule wiederaufgenommen, und im Laufe der Monate entwickelte sich allmählich eine höflich distanzierte Beziehung zwischen ihm und seinem Schwager. Sie ließen sich sogar gegenseitig ihre unterschiedlichen Ansichten, und zu diesen gab es Gründe genug.
Nach der Schlacht bei Trafalgar dauerte die endgültige Niederwerfung Napoleons ein Jahrzehnt. Zunächst hatte es den Anschein, als würde er, ein zweiter Caesar, über ganz Europa herrschen. »Er hat einen Pakt mit dem Zaren von Rußland geschlossen«, sagte Barnikel. »Er wird über Europa herrschen und der Zar über den gesamten Osten einschließlich Indien. Jetzt werdet Ihr doch zugeben, daß er ein Tyrann ist.«
»Ich bin auch der Meinung, daß England sich gegen ihn stellen muß«, erwiderte Ralph. »Dabei aber bringt er bürgerliche und religiöse Freiheit in die von ihm eroberten Länder, von denen einige vorher nur despotische Könige gekannt haben.«
Derlei Äußerungen tat Ralph allerdings niemals vor Porteus. Jahrelang stand England allein, nur geschützt durch seine Kriegsflotte. Dann wendete sich das Blatt allmählich; Arthur Wellesley wurde zum Herzog von Wellington ernannt als Auszeichnung dafür, daß er die Franzosen aus Portugal und Spanien vertrieben hatte, und Napoleon beging den fatalen Irrtum seines Einmarsches in Rußland. Als er schließlich besiegt wurde, trugen die Bürger von Sarum weiße Kokarden an ihren Hüten zur Feier der Rückkehr des Hauses Bourbon nach Frankreich. Als Ralph es ablehnte, sich dieser Feier anzuschließen, beschränkte Porteus sich auf eine milde Maßregelung.
»Du hast gesehen, wie die Revolution und Napoleon das arme Europa völlig durcheinandergebracht haben«,
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