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Sarum

Sarum

Titel: Sarum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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abschüssigen Wiese glitt ihr Pferd aus und kam fast zu Fall. Sollte sie absteigen und es führen? Da waren plötzlich wieder die Wagen vor ihr. Sie war nur im Kreis geritten. Sie hätte weinen mögen, wollte fort, war zu müde, schwankte auf die Wagen zu.
    Die Leute musterten sie mißtrauisch, nachdem sie an eine Wagentür geklopft hatte; aber sie ließen sie ein, und eine Zigeunerin half ihr, die nassen Kleider abzulegen und sich in eine Decke zu hüllen. Dann saß sie in der engen Runde mit den fremdartig schweren Gerüchen, sah das reichbestickte Kissen auf dem Bett an der Wand, betrachtete die kleine Familie. Die vier Kinder, die sie erst mißtrauisch beäugt hatten, starrten sie jetzt eher freundlich an.
    Was wußte sie denn über Zigeuner? Daß sie klein und dunkel waren; daß sie Schafe stahlen und die Kadaver unter ihren Feuern vergruben. Jetzt saß sie mit ihnen in ihrem Wohnwagen zusammen. Der Sturm legte sich erst gegen Abend, und als Jane über die dunkle leere Landschaft hinsah und an ihre durchnäßten Kleider dachte, wußte sie, daß es sinnlos war, weiterzureiten.
    Das nächste Dorf war gute sechs Meilen entfernt, hatten die Zigeuner gesagt. »Würdet Ihr mir für die Nacht Unterkunft gewähren?« Die Frau nickte. Später trug sie ein paar schwarze Klumpen hinaus, die wie Steine aussahen, aber es war gepökeltes Fleisch, das die Frau dann in einem Topf über dem Feuer zubereitete. Jane war dankbar für das heiße, salzige Fleisch, und in einer Ecke des Wagens schlief sie tief, die ganze Nacht hindurch. Ihre Kleider waren fast trocken, ihr Pferd war versorgt, und die Zigeunerin lag so nah, daß sie sie fast berührte. Jane gab den Leuten am Morgen Geld und ritt weiter. Noch nie hatte sie die Frühlings-Morgenröte über der Hochebene gesehen. Safrangelbe, orangefarbene und rötliche Lichtstreifen leuchteten am östlichen Horizont. Wie köstlich der feuchte Torf duftete! Die rote Sonne färbte die weiten Landstrecken mit ihrem Glühen. Es wurde heller. In der Nähe stieg eine Lerche auf.
    Als sie den Sonnenaufgang über der weiten Landschaft betrachtete, wußte sie, daß sie Jethro begehrte. Es war so einfach: diese uralte Welt der Hochebene. Hier wollte sie mit ihm Zusammensein. Als sie langsam in das Tal hinunterritt, wo das Leben in den Bauernhäusern allmählich erwachte, wuchsen ihr Verlangen und ihre Sehnsucht, daß es schmerzte. Und doch wußte sie, daß es nicht sein konnte. Was sie schließlich vorfand, überraschte sie nicht. Der Hof war hübsch, ein weißverputztes Haus mit Ziegeldach; er strahlte einen bescheidenen Wohlstand aus.
    Von ihrem Pferd aus betrachtete sie alles eingehend. Jethro hatte Glück gehabt. Eines der Kinder erschien, sah sie, schlüpfte ins Haus zurück, und gleich darauf kam eine dunkelhaarige junge Frau heraus. Sie bewegte sich mit lässigem Hochmut, blickte Jane neugierig an und stellte sich vor sie hin. »Sucht Ihr Jethro?«
    »Ja.«
    Das Mädchen wirkte nicht feindlich oder mißtrauisch, nur neugierig. Auf jeden Fall wußte sie Bescheid. Wahrscheinlich hatte Jethro nichts erzählt, aber sie spürte es.
    »Ich bin jetzt Jethros Frau«, sagte sie. Und nach einer Pause. »Er ging schon früh weg, ist in einer Stunde zurück. Wollt Ihr auf ihn warten?« Jane lächelte. Warum fühlte sie ausgerechnet jetzt eine solche Ruhe und Ausgeglichenheit? Fast mußte sie lachen. Sollte sie auf Jethro warten? Sie sah plötzlich keinen Anlaß mehr. Sie hatte seinen Hof, seine Geliebte gesehen.
    »Nein«, sie lächelte. Und mit trockener Ironie fügte sie hinzu: »Ich kam zufällig vorbei.« Sie wandte ihr Pferd.
    Es brauchte Jahre, bis der Skandal über Jane Shockleys Abenteuer verebbte. In der Nacht zuvor schienen sogar die Häuser auf dem Kathedralgelände miteinander zu tuscheln. Jane war frühmorgens sehr eilig aufgebrochen – das hatte man vom Pferdeknecht erfahren. Und nun war sie verschwunden, und keiner wußte, wohin.
    Nur ein Mann ahnte etwas. Am nächsten Morgen wurde ein Suchtrupp auf die Hochebene geschickt, da Mr. Mason meinte, sie sei vielleicht dorthin geritten. Mehr als das verriet Mr. Mason klugerweise nicht.
    Stephen Shockley war so außer sich, daß er von neun bis elf Uhr nachts auf seinen Stock gestützt in der Halle stand, sich weigerte, sich zu setzen, und der Reihe nach sämtliche Nachbarn empfing, während das Drama andauerte.
    Den Höhepunkt aber bildete Miss Shockleys Ankunft gegen Mittag des nächsten Tages. Sie sah etwas mitgenommen aus und erzählte,

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