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Sarum

Sarum

Titel: Sarum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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eine weit ausholende Geste über das Dorf, das Tal, das Hochland und die Hügelketten hin. »Ich habe hier Platz genug.«
    Sie wußte, was er meinte; sie respektierte es, aber ihre Gedanken gingen andere Wege. »Wenn Ihr die Abrechnungen anseht…« begann sie. »Abrechnungen!« Er spuckte das Wort gleichsam aus. Darin lag seine ganze Verachtung, nicht für sie, sondern für das Fundament ihres Daseins, über das sie noch niemals nachgedacht hatte. »Ich lebe«, sagte er heftig und machte auf dem Absatz kehrt.
    Jane ritt erst zwei Wochen später wieder zum Hof. Sie war nicht mehr verärgert; im Grunde konnte sie seinen Standpunkt begreifen. Er hatte seine eigene Lebensweise – ohne Frage primitiv, aber die gab ihm seine seltsame Freiheit. Es war töricht, aus ihm etwas machen zu wollen, was er nicht war. Keiner von ihnen erwähnte mehr das andere Stück Land. Sie sprachen ruhig, fast distanziert, wie immer. Aber als sie an jenem Tag miteinander auf dem Hügelkamm standen, blickte sie ihm plötzlich in die Augen; es war, als ob sie für einen Augenblick Verbündete wären: Es war ihr gemeinsamer Hof, ihre gemeinsame Wildnis, ein Ort für sich, dessen alte Gesetze sich niemals ändern würden. Jethro kam in diesem Jahr kurz zum Michaeli-Markt; die Woche davor hatte er einige Einkäufe getätigt. Da das Mädchen Lizzie den Dienst kündigen wollte, verbrachte Jane den ersten Tag auf dem Markt, wo man auch Dienstboten dingen konnte. Sie machte die Runde durch die Marktbuden in den Hallen und sprach mit Bewerberinnen. Erst am zweiten Markttag machte sie sich an die Buchhaltung für Jethros Hof und prüfte die letzten Ergebnisse.
    Sie waren überraschend gut. Er hatte Getreide im voraus zu erstaunlich guten Preisen abgesetzt, beim Verkauf von Lämmern und Vieh Preise erzielt, für die man äußerst geschickt verhandeln mußte. Sie konnte es kaum fassen, daß sie im ersten Jahr schon so erfolgreich waren. Ihre Achtung vor Jethro stieg.
    Am frühen Nachmittag war sie mit den Abrechnungen fertig und beschloß in ihrer Freude, ihm die gute Nachricht gleich zu überbringen, obwohl er sie erst in der folgenden Woche erwartete. Eine Stunde später ritt sie die bekannte Strecke an Alt-Sarum vorüber. Er kam gerade den Hang hinunter, als sie ankam. Der Junge, der die Schafe hütete, war oben auf den Hügelkämmen geblieben. Die Nachmittagssonne schien warm.
    »Kommt herein«, sagte sie triumphierend, »und seht Euch Euren Erfolg an.«
    Er war offenbar erfreut über die Zahlen. »Besser, als ich gedacht habe«, gab er zu.
    »Es ist wirklich wunderbar.« Impulsiv meinte sie: »Ich finde, wir sollten zur Feier ein Glas Bier trinken, habt Ihr so etwas?« Es wurde in großen Zinnkrügen gebracht. Langsam tranken sie das kühle, erfrischende Wiltshire-Bier.
    »Wir haben genug Geld, um das Dach auszubessern«, schlug sie vor. »Es müßte wirklich gemacht werden«, stimmte er zu. Sie nippte nachdenklich an dem Bier. Sie hätte gern das ganze Haus gesehen, wagte jedoch nicht, danach zu fragen. In einem Bauernhaus saß man nur in dem Wohnraum. Dann fiel ihr eine Lösung ein.
    »Kann ich sehen, wo die Kinder schlafen?«
    »Oben. Ihr müßt Euch bücken.«
    Er ging ihr auf der schmalen Holztreppe voran. Das Kinderzimmer hatte zwei kleine Fenster nach vorn und hinten hinaus. Darin befanden sich ein hölzernes Schaukelpferd, eine Kommode aus Kiefernholz und zwei niedrige Betten. Sie ging zum Schaukelpferd und zog es sanft an der Mähne.
    »Das habe ich fürs erste Kind gemacht«, erklärte er. Es war sorgfältig gearbeitet.
    »Ich wußte gar nicht, daß Ihr auch Zimmermann seid.« Sie wandte sich um und ging hinaus auf den kleinen Treppenabsatz. Sein Schlafzimmer lag gegenüber; die Tür stand offen. »Mein Zimmer«, sagte er halb entschuldigend, »kaum Möbel darin.« Sie trat ein.
    In dem Raum standen eine große Eichentruhe und gegenüber eine Mahagonikommode. Neben der Tür hing an einem Kleiderständer ein langer bestickter Kittel. Über das Bett war eine weiße Baumwollsteppdecke mit blauen Blumen gebreitet, vermutlich aus den Tagen, als seine Frau noch lebte. Es war ein karger, jedoch angenehmer Raum. Jane ging ans Fenster und blickte über das Tal.
    Dann wandte sie sich um. Merkwürdig: Sie kamen aus verschiedenen Welten, zwischen denen eine nicht nur tiefe, sondern absolut unüberbrückbare Kluft lag. Unter normalen Umständen hätte keiner von ihnen den Schlafraum im Hause des anderen betreten. Und jetzt betrachtete er sie von der

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