Sarum
Geheimnisse von Stonehenge kannten, konnte diese verschlüsselte Botschaft nur eine Bedeutung haben. Ihr Henge war ein wundervolles und vielschichtiges Instrumentarium. Der Schatten der Sonne zeigte nicht nur auf den Markierungen die Tage des Jahres an; noch viele andere Wunder ereigneten sich dort.
»In manchen Jahren, zur Sommersonnenwende«, so erklärten die älteren Priester den Novizen, »erscheint der Sonnengott nicht nur in der Verlängerung der geheiligten Straße, sondern die Mondgöttin geht gleichzeitig gegenüber unter. Und zur Wintersonnenwende kehren sich die Positionen um: Während die Sonne im Südwesten verschwindet, geht der Mond genau in der Richtung der geheiligten Straße auf.«
Einige Zeit nach der ersten Errichtung des Henge machten die Astronomen eine weitere Entdeckung: Der Mond verfolgt auf seiner Bahn um die Erde keine Gerade, sondern schwingt in einem ihm eigenen Zyklus von Seite zu Seite. Dies wiederholt sich alle neunzehn Jahre und wurde heilige Mondschwingung genannt. Dies war die Bedeutung der Zeichen, denn aus gewissenhaften Aufzeichnungen wußten Dluc und seine Priester, daß bald eine seltene Erscheinung am Himmel auftauchen würde. Am Ende der damaligen – bereits zur Hälfte vollendeten – Mondschwingung würde nicht nur die Sonne zur Sommersonnenwende gegenüber dem Mond aufgehen – genau in der Mitte der Kultstraße –, sondern an ebendiesem Tag würde Vollmond sein. Es war ein unerhörtes astronomisches Zusammentreffen, eine so vollkommene Opposition, wie man sie seit Generationen nicht mehr erlebt hatte. Dies sollte am Ende dieser jetzigen Mondschwingung, also in etwa zehn Jahren, eintreten.
»Wie kann ein so gewaltiges Werk in so kurzer Zeit ausgeführt werden?« rief ein junger Priester aus. »Durch den Willen der Götter«, antwortete Dluc schlicht. Einige Tage lang sann Dluc über den Plan des neuen Tempels nach. Er legte sein gesamtes Wissen von den Mysterien der Götter hinein, das komplizierte Muster ihrer Himmelsbahnen, die magischen Zahlen, die die Priester aus den Sonnen- und Mondbewegungen herleiteten; auch die Folge der Tage – all dies und mehr ging in seinen Entwurf ein, bis er zuletzt zufrieden vor sich hin murmelte: »Wahrhaftig – dies wird eine Hymne auf die Götter werden, ein Wunder aus Stein.«
Und so sollte es sein. Dieser Henge war viel größer als alle anderen Tempel auf der Insel. Die heiligen Bluestones hatten eine Höhe von annähernd zwei Metern. Doch der Hohepriester beabsichtigte, sie durch die mächtigen Sandsteinblöcke – Sarsens – aus den fast zwanzig Meilen entfernten Downs zu ersetzen. Diese Steine waren dreimal so hoch. Für das Zentrum plante er fünf gigantische freistehende Torbögen aus je zwei aufrecht stehenden Steinen mit einem darüber liegenden Querstein. Sie waren in Hufeisenform um den Altar angeordnet; die Öffnung wies zum Eingang und zur Kultstraße. Dies waren die sogenannten Trilithen, die auf die Opfer hernieder blicken sollten. Dann sollte, anstelle des halbvollendeten Bluestone-Zirkels, ein gewaltiger Ring aus dreißig riesigen Sarsens mit darübergelegten, fest verankerten Quersteinen errichtet werden, so daß ein vollkommener ununterbrochener Kreis entstand. Dluc brütete tagelang über diesem hochkomplizierten, kühnen Plan, und mit Kreide machte er sorgfältige Skizzen der verschiedenen Teile auf Rindenstücke.
Als er soweit war, rief er die Priester zusammen und erklärte ihnen: »Der Entwurf ist fertig. Jetzt brauchen wir einen Baumeister, der die Arbeit überwacht. Wer soll es sein?«
Nach einigem Hin und Her kam man überein, daß Nooma den neuen Henge bauen sollte.
Nooma, der Steinmetz, war ein seltsamer kleiner Kauz. Eines Morgens nach der Entscheidung ruhte der Blick der Priester verächtlich auf dem Steinmetz, als er in seiner Lederschürze zum Henge watschelte; sein zu groß geratener Krauskopf blickte gedankenverloren vor sich hin.
Seine Ahnen, zumeist Töpfer ihres Zeichens, waren hochgewachsen gewesen; aber das Schicksal hatte Nooma mit einem auffallend großen Schädel und einem untersetzten, krummbeinigen Körper, dazu mit kleinen, kurzfingrigen Händen und winzigen Daumen ausgestattet. Er war schüchtern, zurückhaltend, immer noch unverheiratet und sprach im allgemeinen wenig, außer wenn es um ein Problem bei seiner Arbeit ging.
Dann begann er zu zittern und legte eine unerwartete Beredsamkeit, begleitet von wilden Gesten, an den Tag. Dieses scheinbar lächerliche Äußere
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