Sascha - Das Ende der Unschuld
schlafen, legte sich auf sein Bett, doch sobald er die Augen schloss, spürte er sein Herz mit doppelter Geschwindigkeit gegen seine Rippen hämmern. Er glaubte sich körperlich bedroht und schaute sich immer wieder fieberhaft im Zimmer um, in das sich die Dämmerung wie zahllose dunkle, unheimliche Schatten einnistete.
Die für den Jungen äußerst reale Bedrohung trieb ihn wieder hoch, seinen verstörten Geist interessierte nicht, dass der Körper zu geschwächt war. Er stürzte die letzten vier Stufen der Treppe hinunter, nachdem seine Beine ihm einfach den Dienst versagt hatten. Mit Mühe rappelte er sich wieder hoch und stolperte weiter Richtung Küche. Wütend warf er das geleerte Captagonfläschchen auf den Kachelboden, wo es in kleine Scherben zersprang. Mit Tränen in den Augen und dem fast schon irrsinnigen Wunsch, endlich schlafen und damit die negativen Gedanken abschalten zu können, griff er sich das Valium. Seine Finger bebten, als er die letzten beiden Tabletten schluckte.
Er ging ins Wohnzimmer, setzte sich auf einen Sessel und schaltete den Großbildfernseher ein. Die flimmernden Bilder schmerzten in seinen hypersensiblen Augen, aber er starrte weiter darauf. Das Valium setzte ihn nun vollends schachmatt, jede Bewegung erforderte eine unmenschliche Anstrengung seines Körpers, deshalb saß er reglos wie eine Puppe und mit trübem Blick im dunklen Zimmer.
Er glaubte, jeden Moment breche eine Katastrophe über ihn herein. Wenn ihn jemand fragen würde, Sascha hätte keine Antwort über die Beschaffenheit der drohenden Gefahr gewusst. Er empfand die Furcht wie peinigende physische Schmerzen und konnte nichts dagegen tun. So saß er mit angezogenen Beinen und um die Knie geschlungenen Armen bis tief in die Nacht vor dem Fernseher, ohne von dem Geschehen auf der Mattscheibe auch nur das Geringste mitzubekommen. Nach stundenlangem Ausharren schleppte er sich frierend in sein Bett und die vollkommene geistige wie körperliche Erschöpfung forderte ihren Tribut. Er hatte zuvor überall im Haus und sogar im Keller Licht gemacht, alle Türen doppelt abgeschlossen und die Rollladen heruntergelassen. Er glaubte sich so ein wenig sicherer und fiel in einen unruhigen Schlaf.
Er warf sich hin und her, stöhnte und wäre öfter beinahe aus dem Bett gefallen. Erst gegen Morgen erreichte der Junge seine Tiefschlafphase. Jetzt entspannte sich sein verzerrtes Gesicht ein wenig und der kalte Schweißfilm auf seiner Haut verging langsam. Doch schon nach zwei Stunden begann er von neuem, unkontrolliert zu zappeln, seine Augenlider vibrierten und seine Finger krallten sich in die Laken. Sein Bewusstsein wollte erwachen, aber wie eine gewaltige Faust umfingen die Drogen seine Psyche und hielten ihn im grenzenlosen Sumpf eines quälenden Dämmerschlafes fest.
✵
Jennifer hatte ebenfalls eine rastlose Nacht hinter sich. Sie stellte ihrer Mutter einige Fragen über den Vater, bekam aber keine andere Auskunft als sonst auch. Ihr Vater sei Kaufmann, so wiederholte ihre Mutter. Jennifer überlegte lange, ob sie tatsächlich selbst an diese Version glaubte und nicht wusste, was wirklich dort am Grüneburgpark vor sich ging oder ob sie einfach nur das Geld sah und es ihr egal war, wo es herkam. Dabei wanderten Jennifers Gedanken immer wieder zu Sascha. Sie ertappte sich dabei, dass sie ihr Kissen schmuste und dabei seine dunklen Augen vor sich sah.
Sie war zornig auf ihren Vater, alles in ihr bäumte sich gegen den bis vor kurzem abgöttisch geliebten Mann auf. Gerade ihre bedingungslose Liebe zu ihrem Daddy war es, welche sie nach dieser Enttäuschung so wütend werden ließ. So kam es, dass sie ihn in die tiefsten Tiefen der Hölle wünschte.
Sie wollte keine Erklärungen, wusste, ihr Vater würde sicherlich eine Möglichkeit finden, sich selbst zu entlasten und ihr alles zu erklären. Auf einmal fiel ihr ein, wie es damals war, als Adrian noch bei der Familie war und ein für alle vollkommen undurchschaubares Doppelleben führte. Plötzlich fielen ihr Gelegenheiten ein, als sie Adrian kurz misstraute und er sie wieder überzeugen konnte. Sie wollte ihrem Vater nie wieder die Chance geben, sie einzuwickeln. So verschwieg sie ihren Kenntnisstand der Mutter vorläufig und nahm sich vor, Sascha heimlich beizustehen, solange ihr Vater in der Klinik blieb.
Sie wollte die Gymnastikkurse, das Schwimmen und den Klarinettenunterricht schwänzen und auch ihre Freundinnen ohne Skrupel als Alibi benutzen. Alles würde die
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