Satans Eulen
in den jemand eine Mulde gedrückt hatte.
Ein friedliches Bild. Es paßte auch zu den letzten drei Tagen, die mir schon eine gewisse Erholung gebracht hatten, obwohl ich einen Abend zusammen mit meinem Freund Bill Conolly an der Bar schrecklich versackt war.
Das gehörte eben auch zu dieser friedlichen Stimmung. Weniger friedlich war der Schrei, der plötzlich an meine Ohren drang und mich elektrisierte. Ich schleuderte die Zigarette über Bord und drehte mich.
Dann wieder.
Spitz stach der Frauenschrei durch die Nacht, und ich hörte einen dumpfen Schlag.
Bevor ich losrennen konnte, sah ich schon die schmale Gestalt. Sie taumelte hinter einer der Aufbauten hervor und lief geradewegs auf mich zu.
Ich fing sie auf. Die Frau war so in Panik, daß sie noch einmal anfangen wollte zu schreien, ich hielt ihr deshalb den Mund zu und sprach ein paar beruhigende Worte.
Der ängstliche Ausdruck in ihren Augen verschwand, denn auch sie hatte mich erkannt, wie ich sie ebenfalls.
Die Frau, die ich in meinen Armen hielt, hieß Martina Carlsson, und gehörte zu den Damen der schwedischen Gesellschaft, die von ihren Männern zwar alles an Geld bekommen, was sie haben wollten, dafür wenig Liebe oder Zärtlichkeit. Und dies versuchten sie, sich woanders zu besorgen.
Dafür war Martina Carlsson jedenfalls bekannt, denn sie machte kein Hehl daraus, daß ihr die Männer gut gefielen. Auch bei mir hatte sie es versucht, doch sie war nicht mein Typ. Ich mag keine Frauen, die sich Männer wie Spielzeuge nehmen, umgekehrt natürlich auch, so hatte ich mich reserviert gegeben, und ihr war nichts anderes übriggeblieben, als sich einen neuen Bordfreier zu suchen, den sie bald in dem Chefsteward, einem Schönling mit blonden Locken, gefunden hatte. Daß sie um diese Zeit allein auf dem Deck spazierenging, wunderte mich. Vielleicht hatte ihr Steward zu viel mit der Vorbereitung des Dinners zu tun.
»Alles okay?« fragte ich sie und schob sie von mir, denn ihr Parfüm war schwer und süß. Ein richtiger Männerfänger.
Martina Carlsson nickte und schüttelte gleichzeitig den Kopf. War schon toll, wie sie mir das jein unterschieben wollte.
»Wie soll ich das verstehen?« erkundigte ich mich.
»Ich bin angegriffen worden.« Martina Carlsson wußte, daß ich Engländer war und bediente sich meiner Muttersprache.
Noch nahm ich sie nicht ernst. »Angegriffen? Von wem?«
Als Antwort hielt sie einen Finger hoch. Er blutete. »Das habe ich einem Vogel zu verdanken.«
»Aha.«
»Sie glauben mir nicht, wie?«
Ich hob die Schultern. »Eigentlich müßte ich es, denn auch über meinen Kopf ist ein Vogel so dicht hinweggeflogen, so daß ich damit rechnete, er würde mich streifen.«
»Da sehen Sie es!« Ihre Stimme klang leicht schrill. Die Frau war zwischen 35 und 40. Obwohl sie krampfhaft versuchte, jünger auszusehen. Sie sah zu, daß sie an Gewicht nicht zunahm, die Kosmetikindustrie verdiente gut an ihr, und das hellblonde Haar war sicherlich gefärbt. Sie trug einen festlichen Hosenanzug, dessen Stoff mit Pailetten besetzt war, die blitzten, wenn Licht auf sie fiel. Die weißen Stiefeletten hatten hohe Absätze, und die Jacke des Hosenanzugs zeigte einen tiefen Ausschnitt. Über das Gesicht konnte ich kaum etwas sagen, die Schminke verdeckte viel.
»Ein Vogel also«, bestätigte ich.
»Ja, ja. Sehen Sie doch.« Sie hielt mir wieder ihren blutenden Finger entgegen.
»Klar, meine Liebe, ich sehe es.« Dabei lächelte ich. »Aber es gibt nun mal Möwen, die ziemlich angriffslustig sind.«
Da hatte ich etwas Falsches gesagt. Martina Carlsson schüttelte so heftig den Kopf, daß ihre wohlgetürmte Frisur in Unordnung geriet.
»Nein, nein, Mr. Sinclair, Sie haben mich falsch verstanden. Ich bin zwar von einem Vogel angegriffen worden, aber nicht von einer Möwe. Das müssen Sie mir glauben. Das war ein Riesending.«
»Vielleicht ein Adler?« spottete ich.
»Nein, aber ein Vogel, der… der…«
Sie schluckte. »Er hatte einen Totenschädel!«
Ich hob meine Augenbrauen und runzelte die Stirn. »Mrs. Carlsson, ich möchte Ihnen ja nicht zu nahe treten, aber einen Vogel mit Totenkopf hier an Bord, das kann ich einfach nicht glauben. Da müssen Sie sich geirrt haben.«
Sie kam wieder einen Schritt auf mich zu, so daß ich von der Duftwolke gestreift wurde. »Ich weiß, daß Sie mich jetzt für ein hysterisches Weib halten, doch was ich gesehen habe, das habe ich gesehen. Davon bringt mich niemand ab. Es war ein Vogel mit Totenkopf.«
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