Satt Sauber Sicher
Es wird reichen für diesen Tag. Meldet sich erst mal krank per Telefon bei einem Kollegen, der keine komischen Fragen stellt, der das einfach so hinnimmt. Irgendwo aufschreibt, der Roland kommt heute nicht an die Börse, aha, es einer Fettwurst mitteilt, die dann aber auch nicht weiter mit Rolands Befindlichkeit beschäftigt sein wird, denn Essen, Fremdficken und Geldzählen lassen solche Gedanken nicht zu.
Kein frühes Frühstück. Nichts in den Magen. Nüchternheit regiert.
In Roland ist wieder Krebs gewachsen. Da feiern Metastasen krasse Partys auf dem und im Darm und knabbern auch schon zärtlich am Magenrand, nehmen einen Bissen Bauchspeicheldrüse mit, fressen sich durch und lieben das. Umwege ins Gehirn. Da ist auch 'ne Menge los. Fremd- und Eigenzellen kopulieren fröhlich und brüllen: "Auf die Krankheit!" Straßen voller Krebs stressen Roland von innen. Der weiß nichts davon. Der spürt nur Zuversicht, weil er sich krank fühlt und sich in der Nähe eines Arztes aufhält.
Der Arzt hingegen hält sich in einem großen Gebäude auf und klaut den Leuten Geld mit Halbwissen. Medical Investigation. Der Arzt macht scheinbar alles richtig. Er hat tolle Apparate, leicht sexualisierte Sprechstundenhilfen und ein Haus mit Garten, darin ein Pool und Arzt- und Modelfreunde kommen und man testet neue Drogen oder Medikamente oder Frauen. Ein feines Leben hat sich der Arzt da eingerichtet.
Da sitzt der Roland dann und starrt in Wartezimmergesichter. Jemand ihm gegenüber wirkt wie Sternzeichen Lungenkrebs. Dem geht die Atmung langsam aus. Von einer todesnahen Blässe sein Gesicht. Faulig sein Atem. Roland blickt sich unauffällig um, um Eindrücke zu sammeln.
Fahle Gesichter hinter St e r nen und Sp i e g e ln, Bi l d d e r Fr a u und Sc h ö n e r Wo h n e n . Stummes Blättern hinter etwaigem Husten, Röcheln, winzigen Gesprächsfetzen, die im Raum hängen und zwar klingen, aber nichts sagen. Es geht um Krankheiten, Gärten und um das, was die Leute für politisches Zeitgeschehen halten, aber opiumgetränkte Volkspropaganda ist. So zelebriert man pseudogeistige Unterhaltungen, nur um den Mund auf- und zuzumachen und ein wenig Existenzberechtigung zu haben. Einige hier sehen echt verdorben aus. Es ist eben ein Wartezimmer und alles, was man hier tun kann, ist warten. Warten auf das Ende der Ewigkeit.
Neben Roland ein alter Mann, halb schläfrig, das schlecht sitzende Gebiss mit Frühstücksresten gefüllt und schlechtem Kaffee im Atem. Vergänglichkeit in Reinform. Der Alte nickt Roland zu, als er die längere Betrachtung seines Zustands, seines fauligen Rumsitzens bemerkt. Roland nimmt sich fix 'ne nichtssagende Zeitung vom Tisch und vertieft sich in Scheinwelten. Immer wieder werden Namen durch einen Lautsprecher durchgegeben. Dann verschwindet ein Gesicht, aber schnell kommt ein neues, krankes Gesicht und versteckt sich hinter einem Focus. Blättert stumm und hustet. Blättert und vermutet Wahrheit. Fakten, Fakten, Fuck.
Roland ist ein wenig erregt wegen der Niedlichkeit der Arzthelferin, bei der er sich angemeldet hat. Es ist nicht bloß eine Niedlichkeit, irgendwie mehr. Da sind unzählige Sommersprossen um eine Kindernase angeordnet. Da sind Augen mit strahlig blauem, leicht naivemAusdruck. Augenblicke fallen sanft, Augenaufschläge ohne Gewalt. Stücke aus Himmeln oder Ozeanen, in denen schwule Delfine mit Modelfischen Standardtänze vorführen. Genau solche Augen, in die man gucken kann und sich am Strand des Lebens glaubt und immer Urlaub hat, wenn man da reinguckt. Da ist ein Mund, mitten im Gesicht, in dem Roland ein Stück Heimat vermutet. Breit und rot zieht er sich fast von Wange zu Wange. Darin wohnt eine zu lange Zunge, die das Mädchen in Weiß ziemlich geil lispeln lässt. Der Mund ist irgendwie nymphoman geformt, als würde das Mädchen mit Vorliebe Erektionen speisen. In Rolands dekadentabgefuckten Kulturkreisen gibt es dafür die Abkürzung PgM = penisgerechter Mund.
Der Roland sitzt also in einem Wartezimmer, so postiert, dass er diese Frau angucken kann, wie sie besinnungslos Buchstaben in einen Computer streichelt oder auf einem Kugelschreiber rumkaut. Dabei denkt die Frau, die das Anstarren bemerkt: "So ein Arsch, kommt hier rein und gafft, aber sieht nach Geld aus, schicker Anzug, bestimmt Business-Class der Typ. Mach ich ihn mal geil und guck mal, was passiert." Spuckt ihren Kugelschreiber aus und geht einmal um den Tresen rum, um ihn aufzuheben. Hebt ihn auf, ohne in den Knien
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