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Satt Sauber Sicher

Titel: Satt Sauber Sicher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Bernemann
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nekrosenreicher, primärer Hirntumor im Temporallappen, einseitiger Hirndruck infolge einer Masseverschiebung durch den raumfordernden Tumor ... zu erwarten ist ein march of convulsion, einFortschreiten epileptischer Anfälle ... Darmkarzinom, Metastasenstraßen, Magen, Lunge, unglaublich, dass Sie überhaupt noch hier sitzen und mit mir reden ..." Roland hört sich den Vortrag des Arztes bis zum Ende an, erhebt sich dann und sieht sich tränendurchflutet im Raum stehen. Dann geht er wortlos einige Schritte im Arztzimmer herum, schweigt und dreht sich um seinen Stuhl. Die Egosonne versinkt langsam und in Bitterkeit. Immer noch kein Wort.
    Roland verlässt aber so was von die Praxis. Geht sterben. Geht. Raus. Da ist der Verkehr. Die Straße mit den Autos. Der weiße Arzt ist ihm noch ein wenig gefolgt. Auch er hat eine Bitterkeit im Blick. Fasst Roland an der doofe Arzt, direkt an der Schulter. Roland aber will nicht, dass ihn was anfasst und geht. Schüttelt den Medizinmann von sich runter. Geht Schritte. Gute Schritte. Männerschritte. Treppe runter. Tür auf. Der Arzt brüllt noch was hinterher, das Morphiumtherapie beinhaltet und das Sterben lässig erscheinen lassen soll, aber Roland geht. Geht sterben. Mit allen Emotionen. Niemand ist in der Annahme des Fortbestandes dieses Lebens. Hoffnung in Flammen wird Hoffnung in Asche. Und weggeweht vom Wind der Belanglosigkeit.
    In Roland verreist seine Wahrnehmung. Alle Gefühle wollen ihn durch alle Öffnungen seines Körpers verlassen, als befürchteten sie eine herannahende Katastrophe. Die Familie Angst zum Beispiel will weg aus Roland. Hat einen Koffer in der Hand die Mutter Angst und an der anderen ihre kleinen Kinder namens Ungewissheit, Potenzstörung und Vergänglichkeit. Da steht Familie Angst und wartet auf den nächsten Flieger. Kommt aber keiner und Familie Angst in Angst. Muss dann dableiben. Mutter Angst in Tränen gebadet.
    Die Kinder Angst ahnungslos. Vater Angst schon lange weg. Keiner weiß mehr wohin.
    Alles, was in ihm ist, hat seinen Platz, einiges wächst, anderes wird kleiner und funktionsgestört. Sein Gehirn hat die Form eines Hammers und seine Schädeldecke ist plötzlich aus Metall und das Hammerhirn ballert mit jedem Schritt, den Roland unternimmt, dagegen. Er rennt in den Verkehr. Alles ferngesteuert. Geht in die Katakomben. Weiß nicht, wer ihn lenkt, wer seine Bewegungen steuert. Er selbst auf jeden Fall nicht. Steigt in irgendeine Bahn. Sitzt dann und das Innerliche ist plötzlich unerträglich. Sterben. Roland stirbt. Jetzt ganz bald. Roland weint nur innen. Schreit lautlos, wahrt die Fassung, aber wofür denn eigentlich? Ist doch eh alles egal jetzt. Sterben soll er, sagt der Arzt. Zwei Tage, zwei Wochen oder irgendwas noch zu leben.
    Als er aus der Bahn steigt, wird er etwas lockerer. Die Apokalypse ist zu Besuch und bleibt, bis er stirbt. Das wird Roland sehr bewusst. Die Lockerheit sagt, er solle Geld abholen und einen draufmachen und sich die Anarchie aneignen, von der er eigentlich träumt. Anarchie in Frankfurt am Main. Humankapitalmann läuft Amok.
    Roland holt sein ganzes derzeit verfügbares Bargeld ab und sein Kopf tut weh. Hinter ihm am Geldautomaten steht eine dünne Frau. Er schlägt die Frau dreimal mit der geballten, hasserfüllten Faust ins Gesicht und beim dritten Schlag platzt die Wange auf und da ist Blut. Roland schlägt die Frau, weil er kurz zuvor wegen einer Art Schwindelanfall zu Boden blicken musste und rote Schuhe sah an der Frau und dann schlug er sie, nur weil ihm ihre Schuhe nicht gefallen. Rote Schuhe, paff auf die Schnauze. Dann wieder der Gang auf die Straße. Roland tritt einen Hund, weil der vor ihm läuft und seinen schnellen Gang behindert. Drecksvieh. Maul halten. Rippentritt.
    Da liegt ein Haufen Steine. Da ist eine Baustelle gegenüber eines Mode- und eines Feinkostgeschäftes. Roland nimmt die Steine an sich und wirft Schaufensterscheiben ein, weil dahinter sinnlose Träu-me verkauft werden. Er rennt, er schafft es, er ist ein Anarchist. Er kommt davon und sitzt wieder in irgendeiner S-Bahn, die irgendwo hinfährt, und lacht bescheiden, geschmeidig und widerwillig. Er will mehr und vor allem hochkonzentriertes Leben mit einer gewissen Ernsthaftigkeit. Er steht vor einer Kneipe, als er aus den Katakomben der Bahnhaltestelle gespült wird. Rein. Schnaps. Gut.
    Alkoholisiert sich, denn dann tut alles weniger weh für einen Splitter Zeit. Hier ist er fast der einzige Gast. Nirgendwo sonst ein Mensch

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