Satt Sauber Sicher
Zeit?" Bitteres Sekundenzählen ... Tränen schieben sich vor seine Netzhäute und Kindheitserinnerungen flackern auf wie Einwegfeuerzeuge. Frau Tod präsentiert sich in der ihr ureigenen erotischen Ironie. "Böse Falle. Dich das zu fragen, kostet dich so viel Energie, dass du mich gar nicht mehr schön finden kannst. Ich werde jetzt mit dir ficken. Find mich schön, Mensch, und du wirst sehen ..." Roland im Taumel. Eine Art Tunnel als Blick. Die dünne Grenze zwischen Leben und erleben ist sichtbar erleuchtet. Das ist nicht bloßeine einfache biologische Existenz, was da wegbricht, sondern ein Sonnenstrahl höchster Güteklasse. Roland lässt sich ein. Was bleibt ihm auch übrig bei so viel Übersinnlichkeit. "Ja. Du bist schön. Deine Macht ist mir willkommen. Alles Irdische abwerfen. Handys, Computer, Leben. Alles weg, sich in einen Fluss stürzen. Wegreißen lassen. Sich mitnehmen lassen." Frau Tod erkennt die ausbleichende Gegenwehr und philosophiert weitestgehend wunderbar. "Ich setze mich jetzt auf dich. Esse dein Menschsein von dir runter. Es ist nicht mehr viel Zeit, aber Zeit ist eh sinnlos. Küss mich, Geliebter." Eng umschlungen nun. Roland genießt die Engumschlungenheit und lässt sich gehen. Er läßt sich gehen, weil er weiß, dass er gehen muss. Einige Sekunden fallen noch durch eine imaginäre Sanduhr und die letzten Worte Rolands sind wie in Stein gemeißelte Weisheit. "Nimm mich, Tod. Fick mir den Körper in die Außenwelt. Schieß mich ab. Verteil mein Sein. Ich bin bereit ...", worauf sein Sterben nahezu vollzogen ist. "Ich bin so geil." Der Tod hat das letzte Wort.
Vergehen wie in Zeitlupe. Der Switch des DJs von einem Lied zum nächsten ist der Tod für den Tänzer. Und trotzdem muss es ihn geben diesen Switch, um in die nächste Phase der Tanzbarkeit zu gelangen.
Roland stirbt. Der Augenblick ist so farblos wie bunt. So authentisch autistisch. Das Leben biegt sich weg vom Sein. Sein Sein entgleitet ihm durch die Hintertür seines Körpers. Er verblutet innerlich. Die Organversorgung ist nicht mehr gewährleistet. Der Schmerz ist nunmehr eine seichte Wellenbewegung und Wind in den Ohren. Kaum mehr registrierbar, zwar vorhanden der Endlosschleifenschmerz, aber so was von in einem drin, zum Menschsein dazugehörig, dass er, der dumme, alte Schmerz, kaum noch auffällt.
Mehr Krebszellen als Gehirnzellen. Fressen durch Roland. Herz und Atem stören sich nicht. Reiben sich nicht aneinander. Dieses Sterben ist wie Sex in Zeitlupe. Der Tod über Roland. Die Überlegenheit der Vergänglichkeit und das darin Verfangensein Rolands machen diesen Augenblick des Sterbens schön. Es sind keine Gedanken mehr übrig. Nichts hat mehr Bestand. Ein dreißigjähriges Leben zersplittert in seine obszönen Einzelteile. Keine Gewalt. Das Sterben ist zärtlich. Death is female. Ein Mädchen, die Unschuld vom Lande. Der Tod ist eine kleine, zierliche Frau mit weichen Händen, mit einem lächelnden Gesicht. Ein Mädchengesicht, bei dessen Betrachtung man meinen möchte: "Hast du heute keine Schule oder was lungerst du hier rum?” Erst 58 Tage später werden die gestorbenen Überreste von Roland entdeckt. Als sich die Post stapelt, als es durch den Flur stinkt, als sich der Nachbar fragt, warum der junge Mann seinen Müll nicht mehr runterbringt. Da wird dann die Polizei eingeschaltet von andächtigen und pflichtbewussten Mitmenschen mit Fernglas und selbstgebauter Rein- und Rauskomm-Statistik. Beobachter in Mietshäusern. Alltagsspione überall. Sie gucken aus Türen und Fenstern und machen allerhand Verdächtigungen und wenn ihr Nachbar stirbt, bekommen sie nichts davon mit.
Die Bullen kommen und brechen eine Tür auf, stehen im Gestank der Verwesung und finden eine Leiche, die mittlerweile schon als Mehrfamilienhaus und Schnellimbiss für diverse Insekten herhält. Roland ist tot. Die Bullen sperren das ab, machen die Tür wieder zu. Dann kommen andere Bullen und diese seriösen Bestattungsmenschen in schwarzen Mänteln mit Sarg.
Die anderen Bullen gucken sich in Rolands Bude um, kramen in seinen Sachen rum, machen seine Schränke auf, akzeptieren nicht seine Dinge, die da sind. Fassen alles an. Heben alles hoch. Gucken durch den Müll. Sehen kopfschüttelnd ein zerschlagenes TV-Gerät, darin einen Hammer. Der Tote hat ein Lächeln im eingefallenen Gesicht. Ein willkommenes Sympathiegrinsen. Roland ab in die Holzkiste. Vorher einige Fotos von diesem Grinsen. Die Bullen verstehen keinen Spaß. Sie machen ihren
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