Satt Sauber Sicher
die Augen einer völlig fremden Person zu blicken, macht einfach nur wahnsinnige Angst. Mehr Alkohol. Mehr Realitätsdistanz ...
Beide stehen an der Bar. Das nervöse Nebeneinanderstehen der Prä- Alkoholbestellung. Da stehen Vera und Britta angelehnt am Tresen der Erkenntnis. Wen sieht die Bedienung zuerst? Wer ist schneller out of space? Sogar hier in der kleinen Independentdisco ist das Leben ein Kampf, der nur verloren werden kann. Die Bedienung nimmt beide Bestellungen nacheinander auf. Zuerst Britta, dann die Vera. Merkt sich die Getränkewünsche in ihrem studentischen Großhirn. Da liegen noch andere Sachen rum in diesem Gehirngebilde. Statistiken über Säufer zum Beispiel. Jeder vierte Apfelkorntrinker über dreißig fällt nach dem zwölften Apfelkorn in eine Bewusstlosigkeit. Die Bedienung hat das erforscht. Sie hat ja Zeit. Sie ist jung und unglücklich, weil nicht schön. Ihre Augen zu nah beieinander, eine Nase, lang und krumm, ein Kopf in der Form eines Medizinballs, schiefe, ungleich lange Beine, kaum Busen, nur 1,53 m groß und ganzdumme Haare. Aber sie kann Bier zapfen und deswegen steht sie hier. Irgendwann, denkt die kleine, hässliche Literaturstudentin, irgendwann. Mehr denkt sie nicht, nur immer irgendwann. Sonja heißt das Ding. Und zapft Biere für Tiere. Es geht weiter, die beiden Frauen wollen den Zellenzerstörungsexzess heraufbeschwören.
Britta bestellt: "Pils! Bitte! Ne, machen se sofort zwei. Auf einem Bein kann mensch nicht stehen. Apropos stehen, ich sollte mich mal setzen." Das labert die Britta so vor sich hin und taumelt dabei auf einen freien Barhocker mit zerrissener beziehungsweise durchgesessener Oberfläche. Vera kommt direkt daneben zum Sitzen. Die Anstrengung des Wartens macht ihr wenig Lust am Leben. Sie ordert winkend, taumelnd, wirr, im Quasiselbstgespräch begriffen. "Tequila, aber ohne Zitrone und Salz, scheiß aufs Ritual, ich will besoffen sein und nicht Vitamin C oder Mineralien einfahren ..." Verhaspelung der Gefühle. Getränke haben ist jetzt mehr als wichtig. Das Festhalten von Gläsern und das sofortige Leeren der Gläser. Das Leeren der Gläser gegen die Leere im Leben. Das Leben hat Löcher, die mit Rausch gefüllt werden mögen. Zeit für melancholisches In-sich-selbst-Verlieren ... zwei Frauen am Abgrund mit Blicken aus Kälte und Stein. Augen wie kalte Steine, die, wenn sie auf die Erde fielen, zersprängen in Restträume.
Britta und Vera. Ihre Blicke treffen sich. Überkreuzen sich, die Blicke, und machen kleine Explosionen. Verständnis ohne Worte leiert sich aus beiden Blicken. Man sieht einander die Verzweiflung an. Man sieht die unsichtbaren Tränen, die Frauen, die alleine trinken, weinen. Die beiden sehen sich lange Augenblicke an. Verstricken sich ineinander. Die Getränke kommen gleichzeitig und die studentische Sonja hat tatsächlich die Zitrone vergessen. Und zwei Bier, frisch gezapft. Wie edel.
Die beiden Frauen können immer noch keinen Blick voneinander lassen. Die Wellenlänge. Die Frequenz. Die Antennen sind ausgefahren. Selbst an diesem Abend gibt es noch so etwas wie ausgefahrene Antennen. Sie starten einen Dialog, beginnen ein betrunkenes Sprechen, denn sie wollen diese Bekanntschaft an sich binden. Beide gleichzeitig. Beide aus einer immensen Verzweiflung heraus. Männer haben die Welt zerstört. Männer sind ein Abgrund und ein Grund sich zu besaufen. Frauen sind bessere Präsidenten, Firmenchefs, Außenminister. Dieses Lied ist aber scheiße, ja, hahaha, schönes Kleid, ja, du auch, aber Männer sind das Allerletzte. Mondbewohner. Sauerstoffverweigerer. Gehirnsucher. Ich liebe dieses Lied. Ja, Adam Green hat echt eine tolle Stimme. Scheiß Männer!
Vera und Britta verstehen sich bestens und es summieren sich die Getränke, die hässliche Literaturstudentin macht hingegen neue Erkenntnisse, sie ist ja auch im Nebenfach Psychologiestudentin und das macht die neuen Erkenntnisse sogar noch lebendiger und nachvollziehbarer. Die wissbegierige Aushilfsthekenkraft Sonja hat eine empirische Erhebung gemacht: 1. Besoffene Frauen sagen gerne Arschloch zu jedem und allem. 2. Bier und Tequila lassen ein Besoffenheitslevel aufquellen, das in einer neuen Sprache gipfelt, ich nenn es jetzt mal Bierila! 3. Bierilisch sprechende Frauen machen sich ganz subtil Verspre- chungen. 4. Wenn zwei bierilisch sprechende Frauen nach drei Stunden Druckbetankung noch stehen, kann immer grad eine nicht ohne Hilfe stehen. 5. Ich kann ihr Lachen nicht
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