Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)

Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)

Titel: Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacek Dehnel
Vom Netzwerk:
verdauen. Weitergehen kann es nicht. Ja, all das habe ich gesehen. Ich habe brennende Städte gesehen und eine Frau mit an Pflöcke gebundenen Füßen, wie eine aufgeschlitzte Sau; fünf, zehn, fünfzehn Männer hatten sich auf sie gelegt, bevor der letzte ihr mit einem Säbel von der Brust bis zum Unterleib fuhr. Ich habe gesehen, was Metall mit dem Körper macht, was eine Granate und ein Bajonett mit dem Körper machen, ein geschliffenes Messer, eine Heugabel, die gusseiserne Spitze eines Zauns, auf die man einen gefesselten Gefangenen spießt. Aber ich habe beide Augenpaare verschlossen, ich zog es vor, mich nicht mit einem solchen Anblick zu vergiften – lebte ich doch in der Illusion, man könne die Vergiftung vermeiden.
    Und jetzt sehe ich all das wieder, sehe es wie auf dem Präsentierteller: fremde Heere, die das Land verwüsten, Menschen, die Säcke tragen, voll von abgeschnittenen französischen Ohren und abgeschnittenen französischen Fingern mit Ringen, ich sehe an Scheunentoren Gekreuzigte und Bäume, deren Äste unter dem Gewicht der Gehängten brechen; ich sehe Pferde, deren Körper im Zusammenprall mit Metall ebenso geringe Chancen haben wie die Körper der Menschen, und ich sehe Gewehrläufe, fett von schwarzer Schmiere, von Knochenöl, Beinschwarz. Für all das hast du mir die Augen geöffnet, als du mich mit dem Segel emportrugst, im sich bäumenden Wind.
    Ich kenne, ich erkenne dich nicht; dein Gesicht ist von dem dicken roten Mantel verdeckt, in den du von den Füßen bis zur Nase gehüllt bist – hier, in der Höhe, schützt uns kein Baum, keine Mauer vor dem eisigen Wind, der über diese unwirtliche Gegend weht, der Blätter davonträgt, Kleiderfetzen, Rauch und uns Luftreisende. Ich sehe dein Haar, deine Augen und die Stirn, aber wer du bist, steht nicht dort, dein Name steht nicht auf der Stirn – du kannst ein Dämon sein oder eine Göttin, du kannst eine Allegorie sein, die sich in einem lebendigen, warmen, in ein scharlachrotes Tuch gewickelten Leib verkörpert, jedenfalls bist du nichts Gewöhnliches, woher könntest du sonst fliegen? Das ist nicht der Flug einer Dorfhexe, die mit verwelkten, mit dem Speck eines Gehängten geschmierten Schenkeln einen Schürhaken oder Besenstiel umklammert, o nein – das ist ein ganz anderer Flug. Ich? Mich? Ausgerechnet mich nimmst du mit auf diese sichere Hochebene, auf diesen verrückten Berg über der Stadt, die sich gegen jede Armee verteidigt, der Stadt mit der Kathedrale, den Türmen, den Speichern, voll von Getreide, getrocknetem Fleisch und Obst? Ausgerechnet mich trägst du über die pfeifenden Kugeln hinweg dorthin, damit ich am Ende meines Lebens endlich etwas Nützliches tun kann? Vielleicht nicht einmal Nützliches, sondern Schönes? Asmodäus, in einer Frau verkörpert? Minerva? Kunst? Oh, entführe, entführe mich, es ist so schön, entführt zu werden!

XXXII
Mariano spricht
    Es begann damit, dass Mutter mich alarmierte. Sie kam zu Besuch, nahm nur den Hut ab und sagte schon an der Tür, während sie noch die aus dem Dutt gezogenen Nadeln in der Hand hielt: »Um Vater steht es nicht gut.« Aber wann stand es schon gut um ihn? Wann denn? Erinnerte sie sich nicht, wie er in der Ecke zu hocken pflegte, im Sessel, wie sie das Dienstmädchen mit einem Glas Kräutertee zu ihm schickte und seufzte: »Man muss die Mimose gießen«? Erinnerte sie sich nicht, wie er tagelang kein Wort sprach, wie er plötzlich närrisch wurde, wenn sie zu ihm sagte: »Javier, du musst mal rausgehen, du setzt ja Moos an«, wie er geiferte? Wie er mit Fliegen und Mäusen sprach? Was heißt in diesem Fall »nicht gut«?
    Aber ich lenkte ein, versprach ihr, am Freitag zur Quinta del Sordo zu fahren, denn das ewige Gejammer zerrüttete mir die Nerven. Sie hat mit einer Tasse kalt und dick gewordener Schokolade im Sessel gesessen und lamentiert, in diesem Zustand habe sie ihn seit Jahren nicht gesehen, sie erkenne ihn nicht wieder, er habe sich furchtbar verändert, sehe krank aus. Ich komme hin, die Trantüte ist in bester Laune; mit gerötetem Gesicht, aufgeregt, sitzt er vor dem Haus am gedeckten Tisch und verzehrt einen Berg von Essen: Oliven, Paprika, Brot, gebratenen Fisch, Birnen, alles auf einmal. »Nun ja«, denke ich, »im schlimmsten Fall wird er noch etwas dicker, das Haus wird nicht unter ihm zusammenbrechen, nicht umsonst haben wir vor meiner Hochzeit den Fußboden verstärkt. Aber krank sieht er mir nicht aus.« Er schwätzt und schwätzt, erzählt

Weitere Kostenlose Bücher