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Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)

Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)

Titel: Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacek Dehnel
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gemalt hat, du stinkender Greis«, sagen sie, »du Irrtum, du Weichling, du Versager.«
    Die Wörter quellen aus ihren großen, aufgedunsenen Mündern wie ein schwarzer Fluss und überschwemmen die ganze Landschaft, das Bild, die anderen Bilder, mich, sie fließen über die Treppe ins Obergeschoss, umspülen die Säule mit dem massiven Kopf meines Vaters; schlagen liebevoll dagegen.

XXX
Javier spricht
    Es war schon dunkel. Seit vielen Stunden war es dunkel – ich hatte ja gesehen, wie die Schatten immer länger wurden und sich über das ganze Zimmer ausbreiteten, wie das Licht orangefarben, dann grau wurde und schließlich erlosch. Und auch mich selbst sah ich, wie ich, über einen Zuber stolpernd, einen Leuchter hole, wie ich ihn auf das in Lappen gewickelte Tischchen an der Wand stelle, wie ich die Kerzen anzünde. Aber ich spürte gar nicht, dass ich das war, ich spürte, dass es ein anderer war, einer, der in meiner Abwesenheit in das leere Haus eingedrungen ist, der sich angeschlichen, das Schloss aufgebrochen hat, lautlos über die Treppe gegangen ist und meine Bilder übermalt, sie kaputtmacht, sie versaut, mit Farbe bekleckert, verschmiert, der aus den klebrigen Schichten Weiber in Kopftüchern hervorholt, den Bauch eines Mönchs, Kleider und Mäntel, ordinäre Fressen. Ich habe gesehen, wie er sich mit dem Malen einer Prozessionsfahne abgemüht und sie resigniert, fluchend in einen rotbraunen Fels verwandelt hat, der vor Urzeiten von dem unsichtbaren, nur zu ahnenden Berggipfel herabgestürzt ist, wie er mit schnellen Pinselstrichen die Menschenmenge vergrößerte, Kopf um Kopf, wie dunkle Schuppen auf dem Rücken eines Raubfisches.
    Ich kannte ihn nicht, kannte diesen anderen in mir nicht; ich hatte ihn vergessen – er hatte die ganze Zeit geschlafen. Er war es, der vor vielen Jahren, über einem Gedichtbändchen mit grünem, marmoriertem Umschlag im Sessel sitzend, in einem jähen Geistesblitz den mächtigen Koloss erblickte, der aus dem Nebel über den kämpfenden Armeen wuchs. Er war es, der ihn selbstvergessen malte und dann verschwand. Er ging die Treppe hinunter, auf die Calle de los Reyes, schloss die Tür hinter sich und ist erst heute wieder aufgetaucht, in meinem Kittel, in meiner Hose, mit meinem gelichteten Haar auf dem Kopf; er öffnete die Tür unten und ging, als würde er den Weg kennen, die Treppe hinauf ins Obergeschoss, trat an die Wand, nahm die Palette vom Tisch, mischte Grün und Schwarz und setzte einen Tropfen in die Landschaft, mit dem alles begann, aus dem alles entsprang. Ich stand sprachlos, dann trat ich zu ihm. Und wir verschmolzen.

XXXI
    Die Entführung
    Ich? Mich? Ich sehe mir nicht einmal ähnlich, aber ich spüre, dass ich es bin, den du entführst mit dem Boot aus Wind, auf einem Luftflügel, und ich spüre, wie mein Kittel sich in einen von Böen gezausten Mantel verwandelt; ineinander verhakt – du hältst mich mit einer solchen Kraft am Ellbogen, dass ich manchmal denke, du wirst mir den Arm abreißen – gleiten wir über das weite Schlachtfeld.

Ja, jetzt erinnere ich mich an alles: an die Luft, den Hunger, das Feuer, den Krieg. Nichts ist mir entgangen, nichts blieb mir erspart, denn auch wenn ich es nicht selbst gesehen habe, so habe ich es doch mit geschlossenen Augen gesehen, tiefer drin, mit einem zweiten Augenpaar, das jeder von uns hat, auch wenn er es zu verbergen oder auszustechen versucht. Beine – Beine, gegen die die Haustür stieß, wenn ich im Morgengrauen hinausging, wozu, weiß ich nicht mehr; ein klopfendes Geräusch, als würde Holz gegen Holz stoßen, denn sie waren dünn wie Stäbe, wie Stelzen, wie Stangen; viele solche Beine und Arme gab es damals zu sehen, Hände wie Reisigbündel, Gesichter wie eng mit Haut bezogene Kerne; und der Körper über diesen Beinen – ausgemergelt, in Lumpen gewickelt; der Kopf des Menschen gesenkt, die Augen offen; ich blieb stehen, überrascht, und versuchte zu schauen, wie er schaute, auf das, worauf er schaute, und ich sah ein Stück Brot, zwischen seine Finger geklemmt, ein Stück Brot, von einem Barmherzigen gegeben, vielleicht sogar von unserer Köchin, ein Stück Brot in einer Hand verschlossen, die es nicht zum Mund führen kann – aber jetzt kriecht zu der geschlossenen Hand ein mageres Kind, wie ein Hund, wie ein Hund mit gebrochenem Rückgrat, und greift nach dem Brot, gierig, reißt es weg, als hätte es plötzlich für einen Moment Kraft bekommen, schlingt es hinunter und erstarrt. Es wird

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