Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)
Arbeiter in einer fleckigen alten Hose, mit gelben Spritzern auf der verschlissenen Weste, mit den weißen Strichen des Bartwuchses auf den Wangen, und sie, eine elegante Frau – sie hat es schon immer verstanden, das Geld der Goyas auszugeben; der Gerechtigkeit halber muss man allerdings sagen, dass ihr auch das Geld der Goicoecheas locker von der Hand ging; sie trug ein Kleid aus karminrotem Satin, ein neues, wie mir schien, aber ich war mir nicht sicher, und fragen wollte ich nicht, damit es nicht so aussah, als ob ich nicht nur ein alter Spinner, sondern auch noch ein Geizhals wäre … Außerdem trug sie den schottischen Schal, den Mariano ihr geschenkt hatte. Es war zu warm für diesen Schal – selbst wenn die Kutsche wie verrückt an den Manzanares gerast wäre, hätte Gumersinda bei diesem Wetter nicht gefroren; als sie hereinkam, bemerkte ich, dass über der Oberlippe, auf den dunklen Härchen, die ihr dort in letzter Zeit wuchsen, winzige Schweißtröpfchen zitterten. Und auch auf der Stirn, ja, dicht unter dem Haaransatz; sie fror ganz bestimmt nicht, aber sie wollte mit dem Schal angeben. Sie sah zu, wie ich die Pfirsiche aufschnitt; ich tat es nicht mit dem Obstmesserchen, wie sie es wünschte, sondern mit dem gewöhnlichen Taschenmesser, mit dem ich manchmal die Farbe von der Palette kratze, und ich betrachtete ihre Hände. Wie sie den Schal drapierte. Auf die eine Seite, auf die andere. Sie stand auf, ließ ihn herunterfallen, so dass er in den Beugen der Ellbogen hing – wie heiß muss ihr unter dem Korsett sein, dachte ich, das von Jahr zu Jahr breiter wird –, dann hob sie ihn wieder hoch und bedeckte die Schultern. Auch dort wird es heiß. Sie lässt den Schal wieder herunter. Nimmt ihn wieder nach oben. Und ich schneide den Pfirsich, als wäre nichts geschehen, ich weiß ja, dass ich auf den Schal achten soll, ja, ich weiß, dass sie noch etwas auf dem Herzen hat und nur nicht weiß, wie sie anfangen soll. Zu Hause, in Madrid, hat sie wie auf Stecknadeln gesessen, ist aufgestanden, hat sich gesetzt, ist wieder aufgestanden, es trieb sie um, bis sie auf diese Pfirsiche kam. Wozu, frage ich mich, wenn sie hier das Gleiche tut – aufsteht, sich setzt, aufsteht, sich setzt. Schade um die Pferde und die Abnutzung der Kutschenachse. Schon will ich das letzte Viertel essen und dann sagen: »Na, spuck’s schon aus, Frau!«, aber als ich schlucke und den Stein auf den Teller werfe, sagt sie: »Leocadia ist zurück in Madrid. Mit Rosario. Und dem Sohn.«
Hätte ich ein schlechtes Gewissen haben sollen? Das war wahrscheinlich nicht ihre Absicht. Sie ist sicher mit ihren eigenen Gewissensbissen gekommen, die mich nichts angehen. »Sie haben angeblich in großer Armut gelebt dort. Rosario hat sich und die Mutter mit kleinen Arbeiten durchgebracht. Sie hat Zeichenunterricht gegeben, Miniaturen auf Bestellung gemalt. Tapetenmuster.«
Na bitte. Was für eine Übereinstimmung. Was für ein Zufall. Sie hat auf Tapeten gemalt, und ich male auf Tapeten. Gumersinda findet das nicht lustig. Überhaupt nicht.
»Ein schöner Schal«, sage ich. Sie sagt, er sei von Mariano, sogar jetzt habe er daran gedacht, trotz Marianitos Tod. Darauf ich, wir hätten zwar nur einen Sohn, aber dafür einen außergewöhnlichen. Soll sich die gequälte Seele doch etwas erholen. In diesem Körper verschlossen, mit seinen Falten, mit dem Schnurrbärtchen, den Schweißtropfen.
Mariano spricht
Ich habe meinen Sohn Mariano Javier genannt, um der Trantüte eine Freude zu machen. Idiotisch. Einen Namen soll man nicht unterschätzen. Ich hätte ihn Mariano Francisco nennen können, vielleicht hätte er dann mehr von seinem Urgroßvater gehabt. Kraft und Talent. Mit diesem Namen habe ich ihn angesteckt wie mit Gangräne, ich habe ihn getötet an dem Tag, an dem der Pfarrer seinen Kopf mit Wasser beträufelte und ihn auf den Namen Mariano Javier taufte; wie ist es gekommen, dass er seinem Großvater ähnlicher wurde als seinem Vater? Still, schwächlich, als sei er schon in der Wiege verwelkt – nein, da war nichts zu machen. Angeblich sind Kinder ja überhaupt den Großeltern ähnlicher als den Eltern; stammt denn nicht das, was den Frauen an mir immer gefallen hat, direkt vom großen Francisco de Goya? Dieser Chic, diese innere Stärke, der Glanz alten Adels, gepaart mit dem Glanz des Genies! Das hätte der Kleine vom Urgroßvater mitbekommen. Und von mir – Ehre und Reichtum, das eine wie das andere in Reichweite, ganz nah; ich habe
Weitere Kostenlose Bücher