Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)
nachts im Bett lag und einzuschlafen versuchte, kamen die Szenen, die ich dort gesehen hatte, in ihrer ganzen abstoßenden Pracht zurück: die maskenhaften Gesichter, die tief hängenden Wolken, der schwarze Umriss des teuflischen Ziegenbocks in üppigen Kleidern, der kleine Hundekopf dicht am Rand. Ist es also das, was erwacht, wenn die Vernunft schläft?
Javier spricht
Bei einigen der Phantasien war ich mir nicht sicher und schwankte immer wieder – ich übermalte den Hintergrund, dann zeichnete ich ein paar unsichere Linien und übermalte sie von neuem. Ein andermal ging es mir so leicht von der Hand wie beim ersten Tropfen, aus dem eine ganze Inquisitionsprozession entstanden ist; eine Idee jagte die nächste, der andere Javier, stärker und klüger, schwang so schnell den Pinsel, mischte so eifrig die Farben, dass ich nicht mit ihm Schritt halten konnte, und oft rutschte mir die Hand von einem geplanten Umriss ab, so dass ich sie beschämt anhielt und schaute, ob es wirklich noch meine Hand war und nicht ein lebendiges, von fremdem Willen gelenktes Werkzeug.
Das Ende war immer noch weit entfernt, aber ich schien ihm näher zu kommen.
XXXIII
Das Duell
Jeder Krieg ist ein Krieg um Raum; die großen Imperien schicken Hunderte von Regimentern in den Tod, verbrennen Städte und noch nicht gemähte Getreidefelder, machen Klöster dem Erdboden gleich, rauben Obstgärten aus und schlachten Herden ab, um mehr Platz zu bekommen – denn die heraldischen Bestien, die Löwen von León und die Adler von Frankreich, brauchen viel Raum, um nach Herzenslust weiden zu können. Aber wer nicht zwei aragonische oder galicische Bauern gesehen hat, die sich um ein Stückchen Land schlagen, der weiß nichts von Krieg, von Verbissenheit, vom Kampf bis zum letzten Blutstropfen. Denn selbst dort, wo Imperien gegeneinander kämpfen, gibt es ganz unten, unter den ausgebreiteten Fahnen, unter Wolken von Kanonenrauch, am Fuß der Pyramide der Chargen und Ränge, unter dem farbigen Tuch und den goldenen Knöpfen der Uniform einen galicischen Bauern, der einem Bauern aus der Picardie das Bajonett in den Bauch stößt, einen Schweinehirten aus Fuendetodos, der einem Müller aus der Gascogne mit dem Säbel den Arm abhackt im Kampf um den vier Finger breiten Rand eines Feldrains.
Der Regen ist schon auf die Erde niedergegangen, links sieht man den schäumenden, unruhigen Fluss; zwischen grauen Wolken blitzt ein Stück klarer Himmel hervor, das, wenn man genau hinschaut, wie das Profil eines mächtigen Löwen aussieht, der den steilen Berg in der Ferne betrachtet; nach dem Gewitter ist nur Schlamm geblieben; er zieht sich von den Hügeln bis zum seichten, breiigen Wasser, so üppig, dass er für alle reicht. Beide Männer stehen bis zu den Knien darin und bearbeiten sich mit Keulen. Ohne Wut, ohne Jähzorn: systematisch, konsequent setzen sie zum nächsten Hieb an. Der Rechte, Jüngere, verdeckt mit dem Arm den Mund und zieht verblüfft die Brauen hoch, der Linke, dem von der Stirn und dem angerissenen Ohr Blut ins Gesicht strömt, scheint ebenso erstaunt; in dem kurzen Moment, als die Stöcke, vom Schwung der Arme geführt, Anlauf nehmen, um auf die entblößte Stirn, das dichte Haar, die Hand niederzugehen, schauen die beiden einander an und wundern sich offensichtlich, dass sie es so lange ausgehalten haben; dass sie, statt sich zu versöhnen, weiter aufeinander eindreschen, ungeachtet der Wunden; dass sie um Platz kämpfen, obwohl keiner von ihnen weichen wird, weil sie nicht weichen können, vom Schlamm wie mit Schlingen gefesselt.
So weit das Auge reicht, keine Menschenseele. Die ganze Erde gehört ihnen, aber sie versinken immer tiefer im Schlamm, taxieren einander mit Blicken, damit der nächste Schlag so schmerzhaft wie möglich ausfällt.
XXXIV
Javier spricht
Gumersinda erschien persönlich. Was für eine Ehre. Sie brachte mir Pfirsiche aus der Stadt. Die seien so schön, sie habe sofort an mich gedacht – als kennten wir uns nicht seit einem Vierteljahrhundert, als glaubte sie wirklich, ich würde auf solche Tricks hereinfallen … Wir setzten uns in die Küche, denn im neuen Flügel, im Obergeschoss, im Parterre, überall war noch alles umgestellt, die Möbel in die Mitte geschoben, mit Lappen bedeckt, auf dem Fußboden lagen Stücke von abgeschlagenem Putz herum, von den Farbtöpfen abgefallene Krümel, Schüsselchen mit vertrockneten Resten von Rot, Grün, Schwarz – vor allem Schwarz. Hier also, in der Küche. Ich, ein
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