Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)

Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)

Titel: Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacek Dehnel
Vom Netzwerk:
irgendwelche Geschichten, von einem Knecht der Nachbarn, einer Milchfrau, davon, dass Felipe sich die Hände zerkratzt habe, als er die Zweige schnitt, dass die Katze Junge geworfen habe, und dabei spritzt er mit der Soße und krümelt herum, die ganze Tischdecke ist voll mit Flecken, mit Fitzeln von ausgespucktem Essen. Ich sehe, dass Mutter einfach wieder einmal ins Klagen und Jammern verfallen ist – schon will ich mich zurückziehen, sagen, ich sei nur auf der Durchfahrt, aber Vater nimmt mich mit ins Haus, um mir zu zeigen, wie er unsere Zimmer hergerichtet hat. »Ich habe sie alle bevölkert«, sagt er, »sie sind endlich lebendig, keine faden Bäumchen und Brücken, sondern echte Malerei.« Und er zieht mich am Ärmel. Also gehe ich mit. »Schon gut, Papa«, sage ich, »ich komme.«
    Jetzt begriff ich auch, dass es nicht gut um Vater stand, schon an der Schwelle zum Salon. Wirklich nicht gut. Dort, wo das letzte Mal langweilige Landschaften, ein Bauer auf dem Muli, ein Flüsschen und Ähnliches zu sehen waren, spukten jetzt irgendwelche Gnome herum, abstoßende Gestalten, Teufel, Hexen, alte Weiber, von denen einem schlecht wurde. Was ich sah, war das Destillat der schrecklichsten Albträume meines Großvaters: leuchtende Körper, in eine dichte schwarze Masse wie in dicke Tinte getunkt; verwüstete Täler, verzerrte Fressen. Die schrecklichsten Gestalten, die auf der Erde wandeln, denen sie sich schließlich öffnet, um sie aufzunehmen, obwohl ihr übel wird und ein jäher Schauder über die Felsen läuft. »Papa«, fragte ich, »was ist das?«
    »Was das ist? Die Wahrheit.«

Javier spricht
    Je länger ich malte, desto mehr sah ich meine Unzulänglichkeit. Die am wenigsten gelungenen Bilder übermalte ich ganz: Ich nahm von der dicken Farbe aus dem Eimer und trug – einmal, zweimal – mit breiten Streifen den Hintergrund auf, mit Weiß brachte ich das spätere Licht hervor, und so wuchsen die Formen, doppelt – von Licht zu Schatten und von Dunkelheit zu Halbschatten. Die Halbschatten sind am wahrhaftigsten und daher am schwierigsten zu malen – Licht und Dunkelheit sind leicht wiederzugeben, aber im Halbschatten birgt fast jeder Teil eines Bildes nahezu unbegrenzte Möglichkeiten.
    Andere Szenen habe ich überarbeitet; ich schlug ein Stück Putz ab, trug neuen auf, grundierte und glättete. Es war nie genug, nie war es mir genug: dieses Gesicht abkratzen und aufs Neue beleuchten, schärfer noch; hier etwas mit den Kleidern machen, die sehen nicht gut aus; hier den Rand des Ärmels glätten, da noch eine Falte hinzufügen, ein Gebäude am Horizont; jemandem einen Buckel verpassen, wenn er das braucht. Es gibt in der Tat welche, die das brauchen. An manchen Wänden stand ich immer wieder, zu verschiedenen Tages- und Nachtzeiten, bald allein, bald mit einem Gast, den ich nach seiner Meinung fragte, in größeren und kleineren Abständen, manchmal Tag für Tag, ein andermal schaute ich das Gemälde zwei Wochen lang nicht an.
    Ich spürte, dass ich lebte; sah ich doch, wie sich draußen das Wetter änderte, wie der Sommer verging und immer häufiger abends ein kühler Wind wehte; und ich hatte das Gefühl, ich sei ein Teil dieses Zyklus – ich sterbe, um geboren zu werden, dann wieder werde ich geboren, um zu sterben. Jetzt bin ich geboren, bin mit allen Poren meiner Haut geboren, bin durch die Nasenlöcher geboren und durch die Knopflöcher, durch die Finger, durch den Nabel. Eben jetzt hat mich der Wind von den Pyrenäen erreicht – so viele Jahre hat er gebraucht, um die Nachrichten aus Bordeaux zu bringen.

Mariano spricht
    Ich sagte zu Concepción, wir würden keinen Fuß mehr in dieses Haus setzen, noch viel weniger unsere Kinder – es fehlte gerade noch, dass der kleine Mariano Javier und María de la Purificación diese scheußlichen Dinge sehen, von denen sich in ihren jungen, noch unfertigen Köpfen, weich wie die Keime der Walnuss, der schrecklichste Aberglaube und alle möglichen Wahnvorstellungen einnisten könnten.
    Concepción verlangte natürlich, ich solle Vater hinauswerfen, alle Bilder abschlagen lassen und die Wände wieder mit Stoff beziehen, nur mit einem eleganteren als zu unserer Verlobungszeit. Schließlich sei das theoretisch mein Land und meine Quinta. Aber ich konnte mir seine Wut vorstellen, wenn jemand es gewagt hätte, die Meisterwerke von Javier Goya zu beschädigen, des Malers ohne Bild – dafür seit einiger Zeit mit einer ganzen Menge Gekleckse.
    Dennoch – als ich

Weitere Kostenlose Bücher