Sauberer Abgang
dann wunderten sich die Kunden, wenn es im Kühlschrank trotz großzügigem Einsatz von Desinfektionsmittel noch roch.
Den Kühlschrank hatte sie vor zwei Tagen gründlich gesäubert, heute genügte Auswischen. Fürs Waschbecken und die Fliesen nahm sie Kalklöser; fettig war hier nichts, es kochte ja niemand.
Sie gab einen Spritzer Perocid auf das blaue Mikrofasertuch und wischte die Kaffeeflecken vom Tisch und von den Fliesen an der Wand. Reinigen nur bis Einssiebzig, hatte der Objektleiter gesagt, alles, was darüber liegt, ist Sonderauftrag. Ein Meter siebzig lag zwar etwa fünfzehn Zentimeter über ihrer Augenhöhe, aber das war auch für sie zu schaffen. Dalia richtete den Blick noch höher. Da oben, wo sie nicht mehr hinkam, waren die Fliesen stumpf, die schwarzen Pünktchen sahen nach Fliegenschiß aus. Sie sollte für die Küche einen Sonderauftrag vorschlagen.
Vielleicht gab es dafür ein Smiley? Die Firma Pollux bemühte sich um ihre Mitarbeiter, für jeden Beitrag, der nicht selbstverständlich war, gab es einen Bonuspunkt. »Und bei fünfsssehn kriegst du einen Blumenstrauß von Dragutin«, hatte Gül ihr ganz zu Anfang erzählt und gelacht dabei, als ob es eine erotische Verheißung wäre, vom serbischen Objektleiter Grünzeug zu bekommen.
Dalia putzte ihr Revier schon seit sechs Wochen. Man wachte hier eifersüchtig darüber, daß man den Flur auch behielt, für den man eingeteilt worden war. Eyse war letzte Woche in Tränen ausgebrochen, als sie in ein anderes Haus versetzt werden sollte. Niemand wußte, warum, bis Eyse erzählte. Sie hatte Nachtschicht gearbeitet und um 22 Uhr das Büro des Abteilungsleiters geöffnet, den sie vom Sehen kannte, der Mann wollte entweder was werden oder hatte es zu Hause ungemütlich, denn er arbeitete oft abends noch länger im Büro.
»Und da, und da – na, könnt ich doch nicht wissen!« Der Chef schob eine Nummer mit der Sekretärin. Das mußte ein Anblick gewesen sein: Im Büro! Halb ausgezogen! Auf der schwarzen Ledercouch!
Warum sich alle bloß so auf ihr Revier kaprizierten, Eyse, Gül und Marija? Aus dem Wunsch nach ein bißchen Beständigkeit, nach Heimat in der Fremde? Aus Gewohnheit, Unbeweglichkeit, Faulheit?
Oder weil es manchmal besser war, es sah einem niemand bei der Arbeit zu? Putzen war eine Kunst, nicht einfach nur Schwerarbeit. Schwer taten sich vor allem die Frauen, die mit Körpereinsatz ausgleichen wollten, was sie nicht im Kopf hatten. Putzen mußte man systematisch betreiben. Mit Plan. Die meisten der Studentinnen zum Beispiel, die Dalia während ihrer Putzjobs kennengelernt hatten, waren Chaotinnen. Sie arbeiteten immer gleich gründlich, statt Prioritäten zu setzen. Sie räumten alle Möbel um, damit sie auch in die hintersten Ecken kamen und stolperten dann über den Putzeimer, den sie nach dem Bodenwischen mitten im Raum stehengelassen hatten.
Aber am allerschlimmsten waren die Gutwilligen, die sich andauernd ablenken ließen, die braven Hausfrauen, die dazuverdienen mußten. Sie putzten so lange gezielt und konzentriert, bis irgend etwas in ihr Blickfeld geriet – die Heizkörper, die Gardinenleisten. Dann ließen sie alles stehen und liegen und stürzten sich mit Inbrunst auf die neue Aufgabe, bis ihnen wieder einfiel, was sie sich eigentlich vorgenommen hatten. Die kamen nie zu Potte.
Die echten Profis putzten vollautomatisch, da half es, wenn man die Gegebenheiten bereits kannte. Dalia war eine Meisterin im Putzen in Trance. Der Kopf war woanders, während die Hände den Müll in die schwarzen, blauen und gelben Säcke sortierten, das Wischtuch in den Twixter einspannten, die vorgeschriebenen Male von rechts nach links und von links nach rechts über den Boden bewegten, den gelben Knopf drückten, das Wischtuch umdrehten und wieder einspannten, das Ganze von vorn … Die Geschickteren der Frauen beherrschten das vollautomatische Putzen schon nach kurzer Zeit, einige sahen dabei aus, als ob sie an die letzte Nacht mit Slobo oder Slavi dachten, andere, als ob sie sich vor der Blutrache ihrer Brüder fürchteten.
Aber Dalia hing an ihrem Revier aus einem anderen Grund. Man mußte Zeit für seine Klienten haben, ihren Arbeitsplatz beobachten können, ihre Eigenheiten ausforschen, ihre Macken und Ticks, ihre kleinen und großen Geheimnisse. Sie hatte schon nach zehn Tagen geahnt, was der tote Geschäftsführer vom Bankhaus Löwe sicher gerne geheimgehalten hätte, wenn er das diskrete und zuverlässige Facility Management der
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