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Sauberer Abgang

Sauberer Abgang

Titel: Sauberer Abgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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auf.«
    Karl nahm ihm ein zum Trinkgefäß umgewidmetes Senfglas aus der Hand und stellte es zurück auf den Tisch. »Deine Mutter war immer eine gute Hausfrau.«
    »Sie war Lehrerin, Vater. Keine Hausfrau.«
    »Sie hatte immer alles im Griff, nur in den letzten Jahren nicht.«
    »Da war sie krank. Du hättest ihr ja helfen können.«
    »Marga ließ sich nicht helfen.« Karls Blick wanderte unruhig über den Tisch mit den aussortierten Konservendosen. Er griff nach einer Dose Champignons. »Willst du die etwa auch wegwerfen? Die ist doch noch völlig in Ordnung!«
    Will nahm ihm die Dose aus der Hand. Karl sah ihn trotzig an, die weißen Augenbrauen zusammengezogen, aber dann ging sein Blick über Wills Schulter hinweg wieder zum Küchentisch. »Da!« Der Alte schrie fast auf und zeigte anklagend auf eine Dose Schildkrötensuppe. »Das war für Weihnachten. Das kannst du doch nicht einfach …«
    »Schildkrötensuppe ist heutzutage verboten. Und außerdem ist das Verfallsdatum schon seit zwölf Jahren erreicht.«
    »Na und? Das ist doch bloß eine Erfindung der Industrie, damit man alles neu kaufen muß!«
    Will sah ihn verblüfft an. Sein Vater, ein Regimekritiker?
    »Ach, mach was du willst«, brummte der Alte und schlurfte aus der Küche.
     
    Will packte die nicht ganz so schweren Sachen in HL-Tüten und trug sie hinunter, um sie in die jetzt schon volle graue Mülltonne zu stopfen. In Veras Haus hätte ihm das herbe Kritik eingetragen. Konservendosen in die Restmülltonne? Skandal! Das Müllregime in der Hansaallee schien weniger strikt zu sein. Die Papiermülltonne quoll über – weil jemand seine Pappkartons nicht zerkleinert hatte, bevor er sie hineinlegte, stellte Will beim Blick unter den Deckel fest.
    Als er mit einer Rolle Müllsäcke, die er beim Drogeriemarkt um die Ecke gekauft hatte, zurückkam, saß Karl im Wohnzimmer vorm Fernseher.
    »Gibt’s was Neues?«
    Sein Vater hörte nicht.
    Aber was sollte es schon Neues geben. Über Marcus’ Tod würde man mit Sicherheit nicht in den Fernsehnachrichten berichten. Oder? Wie groß müssen Prominenz oder Vergehen sein, damit man Nachrichtenstoff ist? Will ertappte sich bei dem unnützen Gedanken, daß sein Tod keiner Zeitung eine Meldung wert wäre, es sei denn, er brächte sich besonders einfallsreich ums Leben. Höchstens Julius Wechsler würden Lorbeerkränze gewunden werden – »hat mit seiner Immobilienfirma das Bild der Stadt geprägt« –, gewürzt mit ein paar Seitenhieben auf das schmutzige Geschäft der Grundstücksspekulation. Und vielleicht würde man, im Lokalteil jedenfalls, Max Winter würdigen, dessen »Gattopardo« als In-Restaurant der Bedeutenden galt.
    Will versuchte die schwarze Wolke zu verscheuchen, die sich über sein Gemüt senken wollte. Nicht dran denken – an diesen blöden Spruch von den Einschlägen, die näher rücken. Daß Marcus womöglich nur der Anfang war, daß ab heute einer nach dem anderen den Abgang machen könnte, Herzinfarkt, Schlaganfall, was so im Angebot ist. Mit 50 beginnt das gefährliche Jahrzehnt; er kannte seine Stastiken. Nur Männer im Alter seines Vaters hatten gute Aussichten, noch ein paar Jährchen älter zu werden.
    Er füllte einen Müllsack nach dem anderen, band sie fest zu und stellte sie vor die Wohnungstür. Eine junge Frau schleppte Einkaufstüten an ihm vorbei die Treppen hoch in die Dachwohnung über ihnen. Sie lächelte müde, als er sie grüßte. Will sah auf die Uhr. Es war schon Feierabend – für Menschen mit Festanstellung. Warum hatte niemand von den Kumpels angerufen? Und dann fiel ihm Niels Keller ein. Er brauchte eine halbe Stunde, bis er das Mobiltelefon fand, wo er es heute morgen liegengelassen hatte – neben der Kaffeemaschine. Kein Bild, kein Ton. Das lästige Teil hatte schon wieder den Geist aufgegeben.
    Will fluchte auf den Akku, ging in sein Arbeitszimmer und suchte das Ladegerät. Aus dem Wohnzimmer hörte man dumpfe Explosionen und dann Maschinengewehrgetacker. Der ganze Soundtrack klang nach Zweitem Weltkrieg. Hoffentlich kamen bald die Amerikaner und machten dem Spektakel ein Ende.
    Endlich hatte er das Ladegerät gefunden und eingestöpselt. Alle hatten sie angerufen in der Zwischenzeit – Thomas und Michel und Max Winter, auf der Mobilbox: »Um halb acht bei mir.« Also in einer Stunde. Im »Gattopardo«? Dann war wohl heute Ruhetag.
    »Ruf mich zurück.« Das war Niels Keller. Immer kurz und knapp. »Ich brauche Hintergrund.«
    Niels klang gehetzt, als er ihn

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