Sauberer Abgang
Mal im »Dionysos«. Will und Michel erzählten von der Verhandlung. Julius war sichtlich erleichtert, daß es niemanden groß interessiert hatte, woher Leos Signalpistole stammte, von Julius’ Vater nämlich. Thomas und Marcus waren selig, daß Leo davon abgesehen hatte, ihnen eine zukünftige Karriere zu verderben – und zugleich verlegen darüber, daß man ihnen das anmerkte. Sie hatten die Bergsteigerausrüstung besorgt. Alle versprachen einander, Kontakt zu Leo zu halten und alles Menschenmögliche für ihn zu tun – »wenn er das überhaupt will«, hatte Michel hinzugefügt.
Leo wollte nicht. Ein Brief Wills kam mit der Aufschrift zurück, daß der Empfänger die Annahme verweigere.
Leos Abwesenheit und das Ende des »Projekts« hatten ihre Freundschaft beendet. Er war ihr Mittelpunkt gewesen. Ohne ihn existierte das Pentakel nicht mehr, und so hatten sie sich längst aus den Augen verloren, als Monate später die Bettelbriefe kamen – von Jenny.
Michel war der erste, der ein weiteres Treffen vorschlug – und Iannis freute sich sichtlich, sie wiederzusehen. Nach Leo fragte der Wirt des »Dionysos« nicht, man wußte ja, was passiert war. Erst waren alle empört über Jennys Briefe – und dann fand sich einer nach dem anderen damit ab. Man konnte es Erpressung nennen, was sie da tat; aber war es nicht auch eine Möglichkeit, das Versprechen einzulösen, das sie Leo gegeben hatten? Und schließlich half ein bißchen Buße gegen allzu große Schuldgefühle.
Ein Ablaßhandel, dachte Will. Aber er schweißte uns zusammen – für immerhin fünfundzwanzig Jahre. Als ob es nun ihre Abwesenheit gewesen wäre, die Leo und Jenny zum Mittelpunkt machte.
Wieviel Geld Jenny von ihnen eingetrieben hatte, konnte Will nur erahnen. Sie mußte sich immerhin die Mühe gemacht haben, ihre Forderungen den Möglichkeiten der einzelnen anzupassen – ihn schien sie weniger geschröpft zu haben als Julius. Auf jeden Fall hatte es nach der vorzeitigen Haftentlassung für ein Haus auf Gomera gelangt. Leo hatte ihnen sogar gedankt dafür – der Brief triefte vor Ironie, aber immerhin. Und dann hörten sie jahrelang nichts mehr von ihm, bis über Jenny eine weitere Geldforderung kam. Dann wieder nichts. Und nun …
War Leo wirklich zurückgekommen? Oder gab es einen ganz anderen Zusammenhang? Einen, in dessen Zentrum Dalia stand?
14
Wotan zog, und sie stolperte ihm nach. Dalia lief durch den Grüneburgpark, als ob jemand hinter ihr her wäre, dabei scheuchte sie nur das leidenschaftliche Interesse eines reinrassigen Bulldogs an einer frisch geschorenen Pudeldame, die gelangweilt neben ihrem älteren Frauchen entlangzuckelte.
Die Begegnung der beiden Tiere verlief undramatisch. Wotans Stummelschwanz bewegte sich wie ein Propeller beim Schnauzengruß der beiden, aber er schien bald zu merken, daß er nicht auf Gegenliebe stieß.
Dalia ließ zwei Jogger an sich vorbeiziehen und wich einem Hundehaufen aus. Es war warm geworden, und alle möglichen Sträucher blühten, deren Namen sie nicht kannte. Als sie den Mann sah, zog sie die Leine so scharf an, daß Wotan beleidigt japste.
»Du kleines Miststück, du.« Sie hörte die Stimme in ihrem Ohr, diese heisere Stimme, die immer klang, als ob sie brüllte, selbst wenn sie flüsterte. »Wenn ich dich erwische.«
Der Mann auf der Bank im Grüneburgpark setzte die Flasche an und ließ sich das Bier in die Kehle gurgeln. Er hatte ein kariertes Hemd an, dessen oberste Knöpfe fehlten; die Kordhose, die er trug, war an den Knien abgewetzt. Er rülpste, als er die Flasche wieder absetzte.
»Was guckst du so?«
Die Stimme. Dalia erstarrte. Wotan schmiegte sich an ihre Beine und machte sich stocksteif. Vielleicht spürte er, was sie fühlte: Ekel. Der Mann sah nicht nur so aus, er klang auch wie ihr Vater.
»Ich schlag dich windelweich, hörst du.«
Mutter hatte dabeigestanden und »Laß sie doch, Vati« gesagt. »Sie kann doch nichts dafür. Sie ist doch noch klein.«
»Wenn ich dich krieg.«
Krieg mich doch, hatte sie gedacht und war um den Tisch herumgelaufen. Um den Küchentisch, auf dem noch die Salatgurke und Tomaten lagen, die Mama hatte aufschneiden wollen, fürs Abendessen. Krieg mich doch.
Er war hinter ihr hergelaufen, das Gesicht rot. Er atmete immer schwerer und schneller, er roch nach Bier und Schnaps und sauren Rülpsern.
»Guck nicht so blöd!« quengelte der Penner vor ihr auf der Parkbank. Sie versuchte, ihn nicht mehr anzusehen, versuchte, die Luft
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