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Sauberer Abgang

Sauberer Abgang

Titel: Sauberer Abgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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Irgendwann ließ sich nicht mehr leugnen, daß ihn neben Dalia die Frage unangemessen stark beschäftigte, was sein Vater im Internet trieb. Schließlich rief er Firefox auf und klickte sich dort ein, wo die letzten aufgerufenen Netzadressen gespeichert waren.
    Sieh an, dachte er. Ebay. Rubrik Sammeln & Seltenes, Unterabteilung Militaria. Unterabteilung 1918–1945. Unterpunkt Technik. Er klickte die Seite an. Morsegeräte, Volksgasmaske, Fliegersirene, Feldtelefon. »Leica Fotoapperrat Bakkelit«. Funkgerät Deutsche Wehrmacht Berta, von 1941.
    Will schloß das Fenster. Sein Vater interessierte sich offenbar noch immer für die glorreichen Zeiten bei der Schimmernden Wehr. Ein bißchen hundsnormale Netz-Pornographie wäre ihm plötzlich lieber gewesen.
    Aber was wußte er schon von seinem Vater? Karl war ein Kind der Nazizeit – 1924 geboren, da kannte man nicht viel mehr als den Führer. Wurde mit 19 eingezogen, 1943, zur Marineartillerie. Erlebte die Invasion in der Normandie hautnah – er war in Lorient stationiert. Geriet ohne große Kampfhandlungen in französische Gefangenschaft, aus der er 1947 entlassen wurde. Verlor Marga aus den Augen, heiratete sie 1953, kurz nach dem Wiedersehen.
    Plötzlich beneidete Will den Alten – nicht gerade um Krieg und Gefangenschaft. Aber er war geliebt worden. Was will man mehr vom Leben, dachte Will und erhob sich. Es war Zeit für einen gemeinsamen Rotwein und für eine Zigarette auf dem Balkon. Er ging hinüber.
    Der Alte saß in seinem Sessel vor dem Fernseher, das Kinn auf der Brust. Als Will sich leise wieder zurückziehen wollte, kam Karls Kopf hoch. Er runzelte die Augenbrauen, während er seinen Sohn ansah.
    »Und?« brummte er schließlich.
    »Zigarette?« Will zog die Schachtel aus der Brusttasche seines Hemdes.
    »Schon so spät?« Karl gähnte und sah auf seine Armbanduhr.
    »Jedenfalls nicht zu früh für ein Glas.«
    Will ging voraus zum Balkon, goß Rotwein in die Gläser, hielt Karl, als er schließlich herbeigeschlurft kam, die Zigarettenschachtel hin und gab ihm Feuer.
    Sie rauchten und schwiegen. Aus der Wohnung gegenüber schimpfte ein Papagei. Karl und Will hatten sich vor Tagen darauf geeinigt, daß das gelehrige Tier »Saubär!« rief. Der Abendhimmel rötete sich sanft, der Turm des Commerzbankhochhauses färbte sich grünlichgelb. Die Fee reckte den rotweißen Zauberstab.
    »Tut mir leid«, sagte Will schließlich und wußte selbst nicht genau, was er damit meinte.
    Sein Vater nahm einen tiefen Zug aus der Zigarette. »Mir auch«, brummte er schließlich.
     
    Diesmal ging Will zuerst ins Bett, aber er konnte trotz des Rotweins nicht einschlafen. Der Alte schnarchte, man hörte es durch die ganze Wohnung. Beneidenswert. Denn ihn verfolgten seine Gedanken – und alle kreisten entweder um Leo. Um damals.
    Oder um Dalia.

12
    1981
    Sie hieß Frau Sommer. Ausgerechnet. Und sie stand trotz dieser lausigen Kälte jeden Abend vor dem Haus, in einem vom Schnee freigekratzten, mit grauen Betonplatten gepflasterten Hof.
    Beim ersten Mal hatte er noch gehofft, sie würde weggehen. Oder ihn wenigstens nicht zur Kenntnis nehmen, wie er da stand und sich fehl am Platz fühlte. Schmiere stehen! So etwas Kindisches konnte nur Leo einfallen.
    »Fällt das nicht auf? Bei der Kälte ist doch außer uns niemand auf der Straße!«
    Leo hatte den Einwand gutgelaunt entkräftet. »Um so besser! Die Elemente sind auf unserer Seite! Wir organisieren die Sache im Schutz des Winters!«
    Doch keiner von ihnen hatte mit Frau Sommer gerechnet. Als Will sie das erste Mal sah, wie sie da stand in einer dicken, wattierten Jacke, mit Kopftuch, Handschuhen und einer Schale in der Hand, aus der ein weißes Wölkchen aufstieg, fühlte er sich alles andere als konspirativ. Er war auffällig wie ein bunter Hund.
    »Stehen Sie nicht da rum!«
    Will drehte sich um und kam sich unendlich idiotisch vor.
    »Wenn Sie da stehen, kommen sie nicht!« Die Frau stellte das Schälchen auf den Boden. Will schielte hinüber. Sah aus wie heißes Wasser. »Das friert nicht sofort ein«, sagte die Frau, als sie seinen Blick bemerkte. »Und kühl wird’s schnell genug.«
    Und dann bemerkte er sie.
    Ein getigerter Kater saß auf der Mülltonne und äugte zu ihnen hinüber. Neben ihm eine schwarze Katze, die nur noch ein Auge zu haben schien, und die ihre Ohren angelegt hatte. Die Frau holte eine geöffnete Dose Katzenfutter aus einem Plastikbeutel, bückte sich und schaufelte Futter in drei

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