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Sauberer Abgang

Sauberer Abgang

Titel: Sauberer Abgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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bereitstehende Näpfe. Dabei machte sie kluckende Laute. Die beiden Tiere auf der Mülltonne bewegten sich blitzschnell, gefolgt von anderen, die nur auf diesen Moment gewartet zu haben schienen. Kleine Schatten sprangen von allen Seiten herbei und stürzten sich auf die Näpfe. Man hörte das Schmatzen der Tiere bis zur Straße, auf der Will stand und sich nicht rührte.
    »Sie schon wieder!« sagte die Frau am nächsten Abend, als er wieder vor dem Grundstück stand, aber sie klang diesmal freundlicher. Die Katzen waren schon da, einige linsten mißtrauisch zu ihm herüber, aber die anderen ließen sich nicht im geringsten stören. Hinter ihm reckte sich das Skelett des Rohbaus der Deutschen Bank in die schneegrieselgraue Nacht, für dessen Fundament Wills Vater Wagen um Wagen mit Transportbeton hatte anfahren lassen, Morgen für Morgen, wochenlang.
    Das Bürohaus, vor dem sich Frau Sommers Wohnhaus duckte, war dunkel. Rechter Hand grenzte ihr Haus an die Senckenberg-Anlage, eine normalerweise stark befahrene Straße, auf der sich in den letzten Stunden eine dicke Schneeschicht gebildet hatte, weshalb sich auf ihr nichts mehr bewegte.
    »Vermissen Sie auch eine?«
    »Einen roten Kater«, sagte Will. Er hatte sich die Geschichte auf dem Weg hierher ausgedacht, sie würde erklären, warum er heute Abend schon zum zweiten Mal hier stand. »Er heißt Tigger. Er ist schon öfter auf Trebe gegangen. Vielleicht kommt er ja vorbei.«
    »Einen Roten? Vor einer Woche war einer da. Ein schönes Tier. Wohl nicht kastriert?« Sie guckte ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen an. Will wußte nicht, was er sagen sollte. War ein unkastrierter Kater nun gut oder schlecht?
    Frau Sommer löffelte Nachschub in die Katzennäpfe. Die meisten Tiere ließen sie nicht näher als ein, zwei Meter herankommen, dann zogen sie sich zurück, ohne die Augen von Dose und Napf zu lassen.
    »Am liebsten würde ich sie alle wegfangen und sterilisieren lassen. Sie leben in den Kellern der Abrißhäuser und vermehren sich wie die Karnickel.«
    Dank Frau Sommer, dachte Will, die sie füttert. Und was konnte schöner sein für ein Katzenrudel als die vielen alten, heruntergekommenen Westendvillen, in denen höchstens noch eine dickköpfige alte Frau lebte – oder eine Studenten-WG? »Aber soll man sie verhungern lassen«, sagte die Frau, als ob sie sich gegen einen schon oft vernommenen Vorwurf zur Wehr setzen müsse.
    Die Tiere scharten sich wieder um die Näpfe. Der getigerte Kater hob den schweren Kopf und prüfte die Luft. Er senkte ihn wieder und fraß weiter – und mit ihm all die anderen spitz- und knickohrigen Katzenköpfe.
    Am nächsten Abend gab Will ihr die Hand, als er ans Hoftor getreten war. »Sommer«, sagte sie. Fast hätte er sich als »Winter« vorgestellt. Sie schwiegen einvernehmlich, während die Tiere zwei große Dosen Futter verdrückten.
    Als eine Sirene ertönte, zuckte Will zusammen und sah sich hastig um. Der Sirenenton fräste sich in seine Ohren. Frau Sommer blieb gelassen. »Die Bank. Fehlalarm. Ich kenn das schon. Einmal die Woche mindestens.«
    Als der Mann um die Ecke gelaufen kam, war es mit dem Frieden vorbei. Wieder hob der Kater den Kopf. Und wie auf Befehl stoben sie alle davon, mit langgestreckten Schweifen, kleine Teufel auf dem direkten Weg zur Hölle.
    Der Mann trug eine dunkle Uniform, hatte eine Pistole in der Hand und einen unruhigen Schäferhund an der Leine.
    »Na, dann können wir die Katzen für heute vergessen«, sagte Frau Sommer leise.
    Der Uniformierte grüßte und ging über den Hof zu einer verschlossenen Tür, an der er prüfend ruckelte. Der Schäferhund lief nervös hinter ihm her, den Schwanz zwischen die Beine geklemmt. Dann kam der Wachmann zurück, noch immer die Pistole in der Hand.
    Will trat ein paar Schritte zurück. Er mißtraute Menschen mit Waffen, die losgehen und Unbeteiligte wie ihn treffen konnten.
    »Angst?« sagte die Frau spöttisch. »Ihr jungen Leute vertragt aber auch gar nichts mehr. Ich hab’ viel Schlimmeres erlebt im Krieg.«
    »Der übliche Blödsinn«, sagte der Wachmann und kratzte sich am Hals.
    »Fehlalarm.« Frau Sommer lächelte zufrieden. »Sagte ich doch.«
     
    Am nächsten Tag war alles vorbei.
    Wieder stand Will bei Frau Sommer und den Katzen und ließ sich von ihr erzählen, wie Frankfurt im Winter 1946 ausgesehen hatte. »Die Stadt war wie ausgeglüht. Wir haben Ratten gegessen, wenn noch Brennholz zum Kochen da war.« Er mußte sie zweifelnd angesehen

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