Saugfest
Trauergemeinde auf den Verblichenen wartet, und er kommt und kommt nicht? Einen Zweitwagen können wir uns nicht leisten, wie denn auch, die Leute werden ja immer älter heutzutage, und dann die ganze fortschrittliche Medizin. Früher ging das ratzfatz, da hatte einer eine Lungenentzündung, und schon war der Käse gegessen, aber heutzutage ist das alles schwierig mit Antibiotika und Penicillin und diesen Herz-Lungen-Maschinen. Noch nicht
mal mehr der Wundbrand setzt sich durch. Und Epidemien gibt es auch keine, jedenfalls nicht solche, die einen Teil der Bevölkerung ausrotten.«
Ihr Mann nickt. »Davon mal ganz abgesehen werden die Leute sparsamer. Früher hat man nicht auf den Preis geschaut, aber heute ist ja sogar Sperrholz den Hinterbliebenen zu teuer. Wenn’s ginge, würden die am liebsten Griffe an die Toten schrauben, nur um Kosten zu sparen.«
»Im Mittelalter wären wir reiche Leute gewesen«, sagt Ines bedrückt. »Heute leider nicht.«
Ännchen, die mittlerweile mit Herrn Richter den Raum betreten hat, was ich aber erst jetzt merke, räuspert sich. »Also, um es mal ganz ehrlich zu sagen, das finde ich jetzt nicht so schlimm mit dem Luftablassen. Das ist ein Kinderstreich.«
»Eben«, stimme ich ihr dankbar zu und bekomme langsam wieder Oberwasser. Jetzt dürfen die Harnkes nur nicht erzählen, dass … »Wenn’s ja nur das gewesen wäre, aber das war’s ja nicht.«
Mist.
Ingmar funkelt mich böse an. »Aber sie ist ja nachts bei uns eingebrochen, hat die Särge aufgemacht und den Toten Faschingshüte aufgesetzt. Können Sie sich vorstellen, wie unangenehm das ist, wenn man die Särge vor den Trauernden in der Kapelle öffnet, und da liegt eine gottesfürchtige Frau, die ihr Leben der Kirche gewidmet hatte, und dann hat sie einen bunten Hut auf, auf dessen Krempe sich kleine Metallstangen befinden, an denen Kobolde hin- und herwippen? Das ist doch nicht gut fürs Geschäft.«
»Du warst das?«, fragt Malte kehlig. »Das war meine Oma! Ich erinnere mich noch gut daran. An den Metallstangen hingen deformierte Frösche, die schielten.«
»Ja«, sage ich leise.
»Der Beelzebub soll dich holen«, sagt Malte erzürnt. »In der Hölle sollst du schmoren. Ich hatte damals schon ein ungutes Gefühl und habe meine Eltern angefleht, die Oma nicht von einem Bestattungsunternehmen mit schlechtem Leumund beerdigen zu
lassen. Man sieht ja, was da alles passieren kann . Aber sie haben sich durchgesetzt. Und jetzt kriege ich im Nachhinein die Quittung. Hätte man doch auf mich gehört. Ich bin sehr böse. Eins sag ich dir, du hast bei uns keinen Job mehr. Ich werde dafür sorgen, dass du gefeuert wirst und bei keinem Hamburger Taxiunternehmen den Fuß in die Tür bekommst.«
»Das musst du nicht mehr. Benno will mich sowieso rausschmeißen. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis ich unter der Brücke wohne.«
»Wie? Warum weiß ich davon nichts?«, regt Malte sich auf. »Ich bin doch jetzt auch Chef da. Ein guter Chef, der sich um seine Mitarbeiter kümmert, der immer ein offenes Ohr für alle hat. Der … «
»Wohl eher nicht. Sonst wüsstest du das ja. Und seit wann bist du da Chef?«
Malte richtet sich stolz auf. »Zufälligerweise hat man mir vor kurzem eine Teilhaberschaft angeboten«, erklärt mir mein Kollege. »Und zufälligerweise habe ich sie angenommen. Das war ein spontaner Entschluss. Aber egal, ich überlege auf jeden Fall, dich wegen seelischer Grausamkeit zu verklagen.«
»Ich würde mich anschließen«, sagen die ganzen Leute, denen ich so schlimme Sachen angetan habe, im Chor. Auch Frau Wiedekopf.
»Auf diese Verhandlung freue ich mich jetzt schon«, frohlockt Kilian, der es bestimmt schade findet, dass er nicht gleich mit der Verurteilung beginnen kann. »Wie bedauerlich, dass es hier in Deutschland keine Geschworenen gibt. Aber vielleicht kann man ihr rasch die US -Staatsbürgerschaft verschaffen, dann könnte man über den Tod auf dem Elektrischen Stuhl sprechen. Und wenn das nicht klappt, setze ich mich hier zumindest für eine einmalige Gesetzesänderung ein, die den Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte wieder aufnimmt. Nur für diesen einen Fall. Ich habe gute Kontakte. Man schätzt mich sehr.« Er reibt sich die Hände.
Meine Hände werden langsam feucht.
Gehört das auch alles zu der Auftragsarbeit, oder ist das jetzt echt? Nun, alle sehen so aus, als würden sie es ernst meinen. Sogar der Heuler hat einen anklagenden Gesichtsausdruck. Aber vielleicht muss der ja nur aufs
Weitere Kostenlose Bücher