Saupech (German Edition)
abseits des Weges. Vielleicht war hier ein Tier verendet. Dorli schob ein paar Zweige zur Seite, die ihr die Sicht verstellten. Als sie sich näherte, die Fliegen in Schwärmen aufstiegen und sie umkreisten, war sie froh, dass sie seit Stunden nichts gegessen hatte. Dorli würgte. Dort lag eine Leiche!
Dorlis Körper signalisierte ihr zweierlei: Ekel und Flucht. Aber sie konnte doch nicht einfach davonfahren! Auch wenn hier jede Hilfe zu spät kam. Sie schlug sich mit der flachen Hand auf die Wangen, um das Blut, das in den Beinen zu versacken drohte, wieder zum Zirkulieren zu bringen. Dann näherte sie sich zögernd dem Ort des Grauens.
Viel konnte sie in dem von Maden wimmelnden Leichnam nicht erkennen. Doch er trug die typische Kluft eines Pechers. Einige Werkzeuge lagen um ihn verstreut. Und eines davon steckte in seinem linken Auge. Auch wenn die Gesichtszüge kaum Rückschlüsse auf das Aussehen des Mannes zu Lebzeiten zuließen, wusste Dorli, dass er kein Unbekannter sein konnte. Sie kannte alle Waldarbeiter aus der Gegend. Mein Gott, was war hier geschehen? Ein Unfall? Ein Mord? Unmöglich. Wer würde denn einen Pecher umbringen?
Dorli hatte genug gesehen. Genug, dass ihr kotzübel war. Steifbeinig ließ sie den Tatort hinter sich. Warum passierte so etwas eigentlich immer ihr? Sie griff nach ihrem Handy. Wählte mit zitternden Fingern den Notruf. Kein Empfang! Sie musste wohl ein Stückchen auf der Straße weiterfahren, bis sie in den Bereich eines Senders kam. Dann konnte sie die Polizei verständigen.
3
Sechs Tage waren seit dem Verschwinden von Tante Leni vergangen, und Agnes hatte nicht einen Mucks von ihr gehört. Mittlerweile war sie sicher, dass ihrer Tante etwas passiert war. Doch was? Und wo? Sie kämpfte die aufsteigenden Tränen nieder. Weinen würde weder ihr noch Tante Leni helfen.
Das Klingeln des Telefons riss sie aus ihrer Lethargie. In der Leitung rauschte und krachte es, sie verstand kein Wort.
»Hallo?«, rief sie. »Tante Leni, bist du’s?«
»Ist denn Tante Leni auch in der Antarktis?«, kam plötzlich klar und deutlich die Stimme ihres Bruders.
»Ach, du bist es, Anselm.« Sie befürchtete, das könnte enttäuscht geklungen haben.
»Tja, ich freu mich auch, dich zu hören, Schwesterherz!«, ätzte ihr Bruder. »Ist was mit Tante Leni?«
Agnes seufzte tief. Hatte vermutlich wenig Sinn, es ihrem Bruder zu verschweigen. »Sie ist vor fünf Tagen verschwunden. Kein Lebenszeichen, das Handy nicht ortbar. Die Polizei geht mittlerweile vom Schlimmsten aus.«
»Na, immerhin ist sie einundachtzig geworden. Hast du in den Spitälern in Wien nachgefragt?«
Ein Gemüt wie ein Fleischerhund! Wobei man wahrscheinlich noch den Hund beleidigte. »Sie ist nicht in Wien, sondern bei einem Ausflug in Niederösterreich verschwunden. Und gestern hat man ganz in der Nähe, wo sie …« Ihr versagte die Stimme. Sie nahm einen neuen Anlauf. »Also, gestern haben sie dort in der Nähe eine Leiche gefunden. Von einem alten Mann.«
Das Rauschen in der Leitung kam mit Macht zurück. Agnes hatte große Mühe, ihren Bruder zu verstehen.
»Ich muss … los. Hab nur angerufen … du … es geht … gut. Ich melde … wieder …« Der Rest versank in Knistern und Rauschen. Dann war die Leitung tot.
Wenn man Anselm mal wirklich brauchte, war er am anderen Ende der Welt und unerreichbar. Typisch!
Das Telefon klingelte erneut. Agnes riss den Hörer von der Gabel.
»Anselm?«
»Leider nein. Kriminalpolizei Baden. Mein Name ist Pavlovic.«
Agnes sank auf einen Stuhl. »Haben Sie meine Tante gefunden? Lebt sie noch?«
»Wir haben eine Tote gefunden. Möglicherweise Ihre Tante. Können Sie ins Krankenhaus Baden in die Pathologie kommen? Wir brauchen jemanden, der sie identifiziert.«
Das Zimmer begann sich um Agnes zu drehen. Sie hatte wohl nach dieser langen Zeit damit gerechnet, dass Tante Leni nicht mehr am Leben war. Doch die Hoffnung starb bekanntlich zuletzt. Sie hatte sich immer noch an den Strohhalm geklammert, dass Leni irgendwo im Krankenhaus lag und aus irgendeinem Grund nicht sprechen konnte, die Tasche verloren hatte und niemand wusste, wer sie war.
»Frau Schneider, sind Sie noch dran?«
Agnes schüttelte ihre Benommenheit ab. »Ja, ich komme. Wann soll ich dort sein?«
»So bald wie möglich. Ich erwarte Sie.«
Während der ganzen Fahrt ins Krankenhaus Baden hatte sich Agnes an die Hoffnung geklammert, dass eine andere alte Dame tot aufgefunden worden war. Das ist nicht recht ,
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