Saupech (German Edition)
schalt sie sich selbst. Das würde ja bedeuten, dass sie jemand anderem den Tod wünschte. Bitte lieber Gott, lass mich aufwachen. Das ist sicher nur ein ganz blöder Traum!
Inspektor Markus Pavlovic nahm Agnes am Eingang des Spitals in Empfang.
»Es tut mir leid, dass ich das sagen muss. Aber egal, ob es Ihre Tante ist oder eine andere alte Dame, machen Sie sich auf etwas gefasst. Es ist heiß gewesen, die letzten Tage, und die Frau lag im Freien. Dementsprechend ist der Zustand der Leiche. Ich würde Sie daher bitten, sich weniger auf Gesichtszüge zu konzentrieren, die sich sehr verändert haben können, sondern auf typische Merkmale. Muttermale, Narben, Haarfarbe, Kleider.«
»Meine Tante hatte ihre Handtasche, einen Fotoapparat sowie ein Handy bei sich. In ihrer Tasche hatte sie sicher einen Ausweis.«
»Wir haben nichts davon gefunden, obwohl wir die Umgebung akribisch durchkämmt haben. Aber das will gar nichts heißen. Und vielleicht ist es ja auch gar nicht Ihre Tante. Kommen Sie!«
Der Kripomann fasste nach ihrem Arm und zog sie zu einem der Aufzüge. »Die Pathologie ist im Keller.«
Allein der Geruch, der mit jedem Schritt intensiver zu werden schien, verursachte Agnes Übelkeit. Es roch nicht nach Verwesung. Aber die Mischung aus Desinfektionsmittel, einem etwas muffigen Kellergeruch sowie fettigem Küchendunst, die ein eigenartig süßliches Vanillearoma überlagerte, das sich im Mund niederschlug, hob ihren Magen Richtung Kehle und drückte ihren Brustkorb zusammen.
Ein langer Gang, beleuchtet mit dem fahlgelben Licht alter Leuchtstoffröhren, führte zur Pathologie. Der graue Anstrich der Wände bis in Schulterhöhe, der Geruch, das flackernde Licht, wo eine Leuchtstoffröhre wohl eben den Geist aufgab, versetzten Agnes in ein Gefühl der Unwirklichkeit. Das alles ist nicht real. Das ist ein Gruselfilm aus den fünfziger Jahren. Ich wache gleich auf.
Doch sie wachte nicht auf. Im Gegenteil. Es folgte ein Alptraum. Inspektor Pavlovic öffnete eine Stahltür an einem Bügel und schob Agnes in den Raum. Dort erwartete sie eine groß gewachsene blonde Frau mit einer modischen Brille auf der Habsburgernase. Sie ergriff Agnes’ Hand.
»Helga Rusch, kommen Sie weiter.«
Agnes erfuhr, dass Frau Dr. Rusch die Leiterin der Pathologie in diesem Krankenhaus war. Sie folgte ihr durch einen großen Raum mit Stahltischen, auf denen sich Gott sei Dank keine zerstückelten Leichen befanden, in einen großen Kühlraum, mit gut einem Dutzend Laden an der Wand. Dr. Rusch zog eine heraus, Markus Pavlovic trat neben Agnes, und dann schlug Dr. Rusch das Tuch zurück, das die Leiche bedeckt hatte.
Ungläubig starrte Agnes auf das Bild, das sich ihr bot. Irgendein kranker Witzbold musste eine dick aufgedunsene Frau mit blutverschmierten Haaren und schwarzem Hals in die Kleider ihrer Tante Leni gestopft haben. Doch er hatte vergessen, ihr den Ehering an den Finger zu stecken, die Ohrringe anzulegen und die Halskette, von der sie sich nie trennen würde. Nein, das war nicht Leni Dürauer. Aber die Flecken an den Händen? Die schön manikürten Nägel? Nein, nein, unmöglich!
Agnes schüttelte den Kopf. Würgte und bekam weiche Knie. Dr. Rusch schob die Lade in die Wand zurück und schloss die Klappe. Pavlovic führte Agnes in den Vorraum und bat sie, Platz zu nehmen.
»Sind Sie sicher, dass das nicht Ihre Tante ist?«, fragte er und stellte ein Glas Wasser vor sie auf den Tisch.
»Sicher bin ich nicht. Aber sie hätte nie auf ihren Ehering, ihre Halskette oder die Ohrringe verzichtet.«
»Waren das die?« Der Kriminalbeamte legte eine Fotografie vor Agnes auf den Tisch.
Agnes strengte sich an, die Details zu erkennen, doch alles verschwamm hinter einem schwarzen Vorhang, der von außen immer mehr in die Mitte ihres Blickfeldes glitt.
Als sie wieder zu sich kam, saß sie immer noch auf dem Sessel, links und rechts festgehalten von den beiden Personen, die sie nie wieder sehen wollte. Und das Foto mit Tante Lenis Schmuck lag immer noch auf dem verdammten Tisch!
»Können Sie laufen? Oder soll ich einen Rollstuhl besorgen?«, fragte der Polizist.
»Gehen. Gleich.«
Sie taumelte hoch, stürzte durch den Horrorgang, die Stiegen hinauf und ins Freie. Tief sog sie die frische Luft in ihre Lungen. Hinter ihr polterte der Kripomann durch die Tür des Krankenhauses.
»Kommen Sie, wir fahren zur Inspektion. Ich muss Ihnen noch ein paar Fragen stellen.«
Agnes ihm auch. Wer, verdammt noch einmal, hatte
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