Saure Milch (German Edition)
bereit und lief
auf dem Rückweg in die Wohnung schier in Leni, die ihr mit einem Arm voller
Kleidung entgegenkam.
»Wir nehmen das Zeug mit zu Vera«, sagte Leni. »Vera und ihre
Freundinnen organisieren doch alle naselang eine Sammlung für die
Rumänienhilfe. Die Sachen sind kaum getragen.«
Fanni entfaltete ein T-Shirt. Quer über das Rückenteil waren die
Buchstaben » MEXX « aufgedruckt. Sie starrte das
Kleidungsstück an.
»Billige Nachahmungen von den Vietnamesenmärkten in Tschechien«,
meinte Leni. »Thomas’ Stiefmutter kann es nicht lassen, dort einzukaufen. Dabei
hat ihr Thomas schon so oft gesagt, dass man darin aussieht wie eine
Karikatur.«
Fanni nahm ein Poloshirt, von dem ein Krokodil herunterbleckte. Der
Stoff fühlte sich lappig an, dafür war die Applikation hart wie ein Blechstück. Das zum Thema Designerklamotten, dachte sie und
fühlte sich gleichzeitig erleichtert und beschämt.
»Fanni, du bist eben dämlich«, flüsterte eine Stimme in ihrem Kopf.
»Und das solltest du nie vergessen!«
»Ich hab es heute früh schon in der Zeitung gelesen«,
sagte Hans Rot zu Thomas, kurz nachdem er sich auf dem Beifahrersitz
angeschnallt hatte. »Dein Vater hat von der IHK schon wieder eine Auszeichnung bekommen.«
Thomas startete den Audi und lachte ein wenig verlegen. »Wir haben
halt ein gut sortiertes Ersatzteillager, Vater hat eine Menge Erfahrung, und
ich bin ein passionierter Tüftler. Da bleibt es nicht aus, dass manchmal
verblüffende Konstruktionen zustande kommen. Die Lehrlinge profitieren
natürlich eine Menge davon.«
Er gluckste vor sich hin und fügte dann hinzu: »Neulich haben wir in
einen Traktor zwei Flugzeugmotoren eingebaut, fährt wie der Teufel.«
»Gigantisch«, murmelte Hans Rot, und dann grinste er anzüglich. »Im
Westen verschafft ihr euch das Profil, im Osten die Kohle.«
Thomas winkte am Zebrastreifen eine Fußgängerin über die Straße und
sah Hans Rot konsterniert an. Der legte nach.
»Der Frieder hat doch schon Autos in den Osten verschoben, da war
der Eiserne Vorhang noch dicht.«
»Nein«, sagte Thomas steif, »wir haben seit jeher eine
Reparaturwerkstatt und arbeiten gemäß Kundenauftrag. Mit den Jahren hat sich
die Firma Zacher wegen der originellen und kompetenten Arbeit meines Vaters
einen besonderen Ruf erworben, davon lebt der
Betrieb.«
»Und mir hat neulich der Betreiber der
Shell-Tankstelle in Birkenweiler erzählt«, entgegnete Hans Rot, »dass Zacher
jedes Fahrzeug übernimmt, und zwar für Ankäufer aus dem Osten.«
»So scheint es, ja«, gab Thomas zu. »Eben weil die Firma Zacher so
bekannt ist, wird uns alles Mögliche angetragen. Soweit die Angebote den
Fahrzeughandel betreffen, geben wir sie an Otto Boschke weiter.«
»Otto Boschke«, echote Hans Rot, und Fanni horchte auf. »Ist das ein
Verwandter von …«
»Ja«, sagte Thomas, »das ist der Bruder von Anna Boschke, die in den
Achtzigern erschlagen wurde.«
Hans Rot schwieg, und Thomas fuhr nach einer kleinen Pause fort.
»Mein Vater hat sich lange Zeit schuldig gefühlt. ›Wenn sich solche Esel wie
ich und der Wirt vom ›Gänseblümchen‹, der Metzger Bemmel und der Steuerberater
Pachl nicht mit der kleinen Anna eingelassen hätten, wenn wir sie in der Kneipe
nicht dauernd freigehalten hätten‹, hat er oft gesagt, ›dann wär sie vielleicht
nicht auf die schiefe Bahn geraten. Sie hätte nachts in ihrem Bett geschlafen
wie andere auch, wäre nie diesem Irren in die Hände gefallen und könnte noch
leben‹. Das schlechte Gewissen hat meinen Vater veranlasst, Anfang der
Neunziger Annas Bruder Otto als Lehrling einzustellen. Nach der Gesellenprüfung
hat er ihm dann geholfen, einen Kfz-Handel aufzubauen. Es stimmt, Otto liefert
viel in den Osten. Meine Stiefmutter konnte ihm etliche Kontakte vermitteln.«
Thomas fädelte in die A6 ein und konzentrierte
sich auf den dichter werdenden Verkehr. Fanni lehnte sich auf ihrem Platz im
Fond zurück und schloss die Augen.
Was wohl Sprudel gerade macht?, ging es ihr durch den Sinn.
Na, was wohl? Akten studieren,
Vernehmungsprotokolle wälzen, über Meisers Aussage zum Auffinden der falschen
Tatwaffe grübeln.
Meiser soll jetzt als Totschläger gelten?
Er könnte es sein. Und falls er der Täter ist, dann war
logischerweise auch er es, der den Reifen zerstochen, das Gitter in der Garage
gelockert und mich von der Straße gedrängt hat.
Keine Zufälle?
Sprudel meint Nein.
Woher hätte Meiser denn schon von Anfang an
wissen sollen,
Weitere Kostenlose Bücher