Saure Milch (German Edition)
herumliegen würden.«
»Der Böckl ist doch Jäger«, insistierte Fanni, »vielleicht hat er
mit dem Stein bloß ein Rebhuhn erschlagen oder ein Kaninchen.«
Fannis Mann verdrehte die Augen über seinem Butterbrot. »Die werden
geschossen, Fanni, peng, peng!«
Er kaute eine Weile, spülte Bier nach, dann sagte er:
»Der Meiser hat mir da Sachen erzählt über den Böckl, unglaublich.
Da wohnt man jahrelang in ein und derselben Straße mit so einem Gangster und
hat keine Ahnung davon, dass …«
»Lass mich raten«, unterbrach ihn Fanni unbesonnen, »Böckl betreibt
Zigaretten- und Waffenschmuggel über die tschechische Grenze in großem Stil. Er
ist der Kopf eines Mädchenhändlerrings, und er verschiebt gleichzeitig illegal
lastwagenweise Müll nach Tschechien. Mirza ist bestimmt nicht die Erste, die
Böckl auf dem Gewissen hat, aber Meiser wird ihm schon das Handwerk legen.«
»Von dem Müll hat Meiser gar nichts gesagt!« Hans Rot war perplex.
Fanni begann schleunigst den Tisch abzuräumen, bevor ihr Mann auf
die Idee kam, zu fragen, woher sie ihre Informationen hatte.
Als sie sah, wie er im Wohnzimmer den Fernsehapparat einschaltete,
atmete Fanni erleichtert auf. Wieso hatte sie den Mund nicht gehalten? Es hätte
sie ganz schön in die Bredouille bringen können, hätte ihr Mann nachgehakt.
Kein Wunder, dachte Fanni über dem Abwasch, dass mir diese
Aufzählung all der Schandtaten, die Meiser seinem Nachbarn Böckl unterstellt,
herausgerutscht ist. Seit Stunden versuche ich ja, mich in Meisers Hirn
hineinzudenken.
Immer deutlicher kam ihr ins Bewusstsein, dass sie Meiser noch nie
hatte leiden können.
Aufdringlich und besserwisserisch, dachte sie. Die Kinder mochten
ihn auch nicht, sie haben sich oft über ihn lustig gemacht.
Fanni lächelte, als ihr einfiel, wie ihn Leo immer laut und deutlich
gegrüßt hatte: »Guten Morgen, Herr Meiser!, Grüß Gott, Herr Meiser!, Guten
Abend, Herr Meiser!« exakt beim Wort »Herr« hatte Leo jeweils eine kleine
Verbeugung gemacht und war dann strammen Schrittes weitergeeilt. Als Fanni
ihren Sohn einmal gefragt hatte, ob er nicht zu dick auftrage, hatte Leo
geantwortet, dass Meiser alle Kinder von Erlenweiler, einschließlich Vera und
Leni, bereits etliche Male wegen ihrer schlechten Manieren gerüffelt habe, nur
ihm gegenüber verhalte sich Meiser stets freundlich und liebenswürdig.
Aber für kriminell hätte ich den Meiser noch vor einer Woche
keinesfalls gehalten, dachte Fannis jetzt. Warum? Weil ich genauso auf seine
leutselige Tour hereingefallen bin wie alle anderen.
Teil IV
1.
Freitag, der 8. Juli, zog sich
höllisch. In jeder einzelnen Minute fragte sich Fanni besorgt, ob die Blüte von
Mirzas Schuh gegen Meiser etwas aussagen könne. Um das Karussell, das sich da
in ihrem Kopf drehte, ein wenig abzubremsen, putzte sie am Vormittag alle
Fenster im Haus. Sie wienerte die Glaseinsätze der Zimmertüren und sämtliche
Spiegel. Am Nachmittag wischte sie mit einem Staubwedel ihre Bücher ab, gut
dreißig Regalmeter.
Während Fanni mit ihrem Federpuschel auf der Trittleiter
herumturnte, hielt ein seriöser Mittelklassewagen in der Zufahrt. Leni hüpfte
heraus, und im nächsten Moment erschien ein junger Mann in Sakko und Jeans. Er
öffnete den Kofferraum und half Leni, Kisten und Schachteln vor der Haustür zu
stapeln. Dann setzte der Wagen zurück. Leni winkte, bis er verschwunden war.
»Hallo, Mama!«, rief sie, als Fanni auf ihr Klingeln hin öffnete.
»Ich habe heute Nachmittag freigenommen und schon mal ein paar Sachen aus
meiner Wohnung hergebracht. Ich will untervermieten, wenn ich im Herbst nach
Genua gehe.«
Fanni las, was Leni auf den Schachteln vermerkt hatte.
»Wintersportbekleidung«, »Bücher«, »Geschirr«, »Sofakissen«, »Decken«.
»Wir könnten alle Kartons, so wie sie sind, in meinem Zimmer
stapeln«, schlug Leni vor und verbiss sich das Lachen dabei.
Fanni schaute entsetzt.
Leni nahm sie in die Arme und kicherte. »Ich weiß, Mama, wenn wir
zwischen Schachteln leben wollten, hätten wir uns Schränke sparen können.«
Gemeinsam begannen sie, die Sachen aus den Kartons teils in Lenis
ehemaligem Kinderzimmer, teils im Keller zu verstauen. Das Geschirr fand in der
alten Wickelkommode Platz. Leni reichte ihrer Mutter Reklametassen von
Chemiekonzernen, und Fanni wollte sie gerade fragen, warum Leni all die
Thomapyrin-, Paracetamol- und Doppelspalt-Tassen nicht ihrem Untermieter
hinterließ, da sagte Leni:
»Ich hab mir das
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