Saure Milch (German Edition)
Wochenende freigehalten und Vera angeboten, zu
kommen. Sie packt schon. Morgen Mittag Punkt zwölf dampft sie samt Ehemann nach
Freiburg ab. Sie will endlich den Besuch machen, den wir ihr neulich vermasselt
haben, ›weil wir alle so immens egoistisch sind‹. Kommst du mit? Ich könnte
deine Unterstützung wirklich gut gebrauchen.«
Fanni nickte zustimmend, und Leni fügte hinzu: »Thomas will in der
Nähe von Worms einen … ähm, Freund besuchen, er nimmt uns in seinem Wagen
mit.«
Natürlich würde Fanni mitkommen. Aber bevor sie ein Wort
herausbrachte, tönte Hans Rots Stimme aus der Küche. »Gibt’s nichts zu essen
heute?«
Fanni eilte die Treppe hinauf. Ihr Mann erklärte sich großzügig
bereit, das Altglas zum Container zu bringen, bis die Spaghetti al dente wären.
»Gut«, sagte er, während er die Nudeln auf seinem Teller mit Messer
und Gabel kurz und klein schnitt, »wenn am Wochenende meine Enkel auf dem
Programm stehen, dann bin ich auch dabei. Kostet mich zwar das Aufstiegsspiel
Erlenweiler gegen Birkenweiler, aber Max und Minna gehen vor. Ich hab die zwei
schon so lang nicht mehr gesehen.«
»Ob wir wohl alle in den Jaguar passen?«, wagte Fanni einzuwenden.
»Mit der Karre wären wir die halbe Woche unterwegs«, grölte ihr
Mann.
Fanni sah verständnislos von ihm zu Leni.
»Sie hat es überhaupt nicht mitgekriegt«, prustete Hans Rot.
»Mama«, sagte Leni, »das ist kein richtiger Jaguar. Als der Wagen
Tomas’ Vater vor zwei Jahren angeboten wurde, war er schrottreif. Herr Zacher
hat ihn nur deswegen übernommen, weil er halt eine Vorliebe für ungewöhnliche
Autos hat. Der Jaguar sollte ausgeschlachtet werden. Aber bevor es so weit kam,
haben Thomas und ein Lehrling aus der Werkstatt angefangen, daran
herumzubasteln.«
»Womit haben sie eigentlich die Rostlöcher zugestopft, mit
Plastilin?«, lachte Hans Rot.
»Kann sein«, meinte Leni. »Die Karosserie war aber gar nicht das
Problem«, erklärte sie ihrer Mutter. »Der Motor war komplett hinüber, und das
hätte das Aus für den Wagen bedeutet. Aber Thomas hat im Ersatzteillager
herumgestöbert und einen alten VW -Käfer-Motor
entdeckt, den niemand mehr braucht. Den wollte er dann einbauen.« Sie
schmunzelte. »Thomas und sein Kumpel haben tagelang montiert und geschraubt,
aber der Käfer-Motor hat sich nicht um alle Schrauben der Welt mit dem
Jaguargetriebe verbünden wollen. Irgendwann wollte Thomas die Sache aufgeben,
da hat ihm sein Vater geraten, einfach auf das Jaguar-Getriebe zu verzichten
und ein VW -Getriebe zu verwenden. Damit hat es
geklappt. Die Hybridzüchtung fuhr allerdings nicht schneller als fünfzig.«
»Erstaunlich, dass der TÜV so was zugelassen hat«, sagte Hans Rot.
»Kulanterweise – und auch nur für zwei Jahre«, antwortete Leni.
»Seit einer Woche darf das Auto bloß noch auf dem Betriebsgelände benutzt
werden. Es ist halt eine Attraktion für die Kunden.«
»Verstehen ihr Metier, die Zachers«, murmelte Hans Rot, »das muss
man ihnen lassen.«
Fanni dachte indessen an eine gewisse Nachtfahrt.
Drei oder vier Wochen war es her, dass Hans Rot in Höhe von
Natternberg um halb vier Uhr morgens Thomas’ Jaguar überholt hatte. Ein junges
Paar saß in dem Wagen. Wer?, fragte sich Fanni.
Die Frage beantwortete Leni. »Thomas hat den Jaguar nicht oft
benutzt. Zwei- oder dreimal hat er mich damit abgeholt. Aber der Lehrling und
seine Freundin waren ganz verrückt auf die Kiste. Die sind ständig damit
herumgekurvt.«
»Thomas fährt einen Audi, stimmt’s?«, warf Hans Rot ein. Leni nickte.
Fanni stand auf. »Thomas holt uns morgen früh um acht Uhr ab, da
muss ich wohl jetzt schon herrichten, was wir mitnehmen.«
Ja, Fanni wollte packen. Aber vor allem wollte sie nachdenken.
Der Jaguar war also eine Fälschung, ein Scherz, eine Posse. Dieses spektakuläre
Auto hatte Thomas keinen Cent gekostet, gut. Und Leni hatte nicht gelogen. Sie
hatte jenes Juni-Wochenende mit Thomas in Köln verbracht, klar. Denn im
unechten Jaguar gondelte der Lehrling mit seiner Freundin herum, sehr gut.
War nun Thomas auf ganzer Linie rehabilitiert? Nein, höchstens auf
halber. Ein paar Erklärungen standen noch aus. Wie zum Beispiel verhielt es
sich mit Frieder Zacher und seinen Geschäften, waren sie dubios oder nicht?
Und – viel bedeutsamer – was verband Thomas mit Leni? Fanni wagte
nicht zu hoffen, dass auch diese Fragen willkommene Antworten finden würden.
Sie stellte das Gepäck für den nächsten Tag im Flur
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