Savinama - Der Wächter: Fantasy-Roman (German Edition)
wüsstest, dass wir nur noch kurze Zeit zu leben haben, was würdest du tun?“ Jeras richtete sich mit fragendem Gesicht auf. „Was sind das für schwere Gedanken nach der Nacht der Wende?“ Wärme lag in ihren Zügen. „Es interessiert mich einfach. Stell es dir vor, was würdest du tun?“ Er legte sich wieder hin und dachte eine Weile nach.
„Leben“, war schließlich seine Antwort.
„Leben?“
„Ja, einfach leben, nicht versuchen daran zu denken, sondern jede Sekunde damit verbringen, was mir am meisten Spaß macht. Denn wenn es wirklich unser Ende wäre, warum die Zeit mit traurigen Gedanken verschwenden?“ Eine Zeit lang schwiegen sie, bis sich die Priesterin erhob.
„Lass uns nach Hause gehen.“ Er nickte und folgte ihr. „Und ... Jeras?“
„Ja?“
„Danke.“
6.
Die Tage vergingen im Fluge. Ineana blieb dem See fern. Sie liebte ihre Familie mehr als alles andere und auch wenn sie sich immer wieder dabei ertappte an jenen Abend zu denken, so ignorierte sie das leise Gefühl, das sie spürte. Die Priesterin konnte nicht erklären, was an jenem Abend geschehen war. Vielleicht war es der Wein, die Musik, die Stimmung oder einfach alles. Auf jeden Fall hatte sie ein schlechtes Gewissen.
Nur wenige Tage später machte sich Ineana mit Arthol auf den Weg nach Natriell. Das Nachbarland, in dessen Hauptstadt regelmäßig Treffen der Kreise stattfanden, um politische Dinge zu entscheiden. Liyiell und Natriell wurden vom Meer getrennt. Die Priesterin liebte die Stunden an Bord der Segler. Vier Tage glitt das Schiff durch die sanften Wellen, während Möwen ihren Weg passierten.
Die Reise nach Natriell kam der Priesterin sehr entgegen. Arthol sprach sie nicht mehr auf den Wächter an und an ihrer fröhlichen Art konnte er sich denken, dass sie seinen Rat beherzigt hatte. Doch waren es eigentlich mehr die Worte ihres Sohnes, die sie Abstand von dem Vigil nehmen ließ. Jeras begleitete Ineana nach Natriell, um seine Ausbildung wieder aufzunehmen. Seine Mutter wusste jetzt schon, wenn sie alleine zurückkehrte, würde sie ihn wahnsinnig vermissen. Und der Fremde würde ihr eine seltsame Erinnerung bleiben, über die die Mutter jedoch nicht weiter nachdenken wollte.
Als sie eines Abends alleine in den Fluren der Schulhallen auf Natriell unterwegs war, spürte sie auf einmal das fast schon vertraute Prickeln auf der Haut. Ineana blieb einfach stehen.
„Es ist nicht gut, dass ihr hier erscheint“, sagte sie leise, holte tief Luft und wandte sich dann doch um. Den Kopf legte sie ein wenig zur Seite, als wäre er zu schwer. Lange Strähnen lösten sich aus ihrem Zopf und umrahmten die sanften Gesichtszüge.
„Warum ruft ihr dann in euren Tiefen?“ Etwas Verständnisloses lag in den Worten des Vigils. Sie starrte ihn an.
„Was ...? Ich habe euch nicht gerufen!“ Nichts in seinem Gesicht regte sich, während er sie ansah. Aber wenn die Wächter nicht in Gut und Böse unterschieden, würde er sie wohl kaum anlügen. Hieß das, dass sie sich selber die letzten Tage belogen hatte?
Ineana versuchte ein klägliches Lächeln. Natürlich musste die Priesterin an den Abend der Sonnenfeuer denken und allein die Erinnerung daran sorgte dafür, dass ein warmer Schauder ihren Rücken entlang zog. Nun war sie von sich selber überrascht, versuchte sich jedoch zurechtzuweisen.
„Dann tut es mir leid. Es ist besser, wenn ihr nicht mehr darauf hört.“
Nur wenige Zimmer von der Stelle entfernt, wo Ineana im Flur auf den Wächter getroffen war, sog Shorbo, der Kreisführer Natriells, plötzlich scharf die Luft ein. Ein stechender Schmerz brannte in seiner Hand wie lebendes Feuer. Er ballte sie zur Faust und senkte den Kopf.
„Was ist los?“ Arthol sprang erschrocken auf und eilte an seine Seite.
„Es geht gleich wieder.“ Als der Schmerz etwas abebbte, öffnete Shorbo vorsichtig die Hand. Man sah ihm an, dass er mehr als überrascht war.
„Wie kann das sein?“ Arthol starrte auf das Mal, das sich in der Handfläche des Freundes gebildet hatte. Ein Kreis, durchzogen von drei Linien, in der Form eines Dreiecks.
Der Kreisführer Natriells, strich sich nachdenklich durch den langen, grauweißen Bart, ehe er sich verwirrt im Raum umsah, als suchte er etwas.
„Das ist nicht möglich.“
„Was denn?“
Shorbo ignorierte Arthols Frage, griff nach einem schwarzen Stab, der neben ihm am Tisch lehnte und erhob sich schwerfällig. Sein blauschwarzer Mantel zeigte die Farben der Führer Natriells, die wie
Weitere Kostenlose Bücher