Sax
erfahren genug. Denn sie habe schon in Neuseeland so viel haarsträubendes Elend gesehen, daß es ihr eigentlich für zwei Leben reichen müßte.
Nein, eine Geistesverwandte Marybels war sie nicht. Immerhin hatte sie als Kind die «Phänomene» erlebt und verstand sie plastisch zu schildern. Ihr hatte das «Gestürm» nie viel ausgemacht. Auch Horner sei eine der armen Seelen gewesen, die sich immer an eine Frau hängen müßten, um ihre Last loszuwerden. Solche Männer konsumierten Frauen wie Alkohol, den man ein Laster nennt, sobald man sich nicht mehr daran berauscht. Das kenne sie von den Maori, und bei Fanny Moser sei Horner leider an die Rechte gekommen. Sie habe an einem schweren Helfersyndrom gelitten, genau wie ihre Schwester Mentona, nur daß die eine arme Waisen gesammelt habe, die andere verlorene Seelen. Die Mütterlichkeit, die den Damen selbst nicht zuteil geworden sei, hätten sie unerbittlich an anderen durchgezogen. Aber weil sie etwas Besseres gewesen seien, hätten sie es nicht ohne Bildung getan. Die eine sei dialektische Marxistin geworden, die andere wissenschaftliche Spiritistin. Auch Horner sei stolz gewesen auf seine Wissenschaft, die habe ja auch Hand und Fuß gehabt. Nur anderswo müsse es ihm gefehlt haben. Und die Fanny sei, mit all ihrem Geld, einsam genug alt geworden; wie hätten sich die beiden nicht anziehen sollen?
Man hätte nicht geglaubt, daß Doris von Toten rede, und das faszinierte Marybel. Aber vielleicht hätte sich das Paar wieder verloren, sagte Doris, denn nach Fannys Tod hätte man Horner weinen hören wie ein Kind. Er konnte aber auch wüten wie ein Seeräuber und habe sich immer gern mit Wasser und Wind bemerkbar gemacht. Doch wenn man ihn heulen gehört habe, sei man nieganz sicher gewesen, ob es ein Mensch sei oder ein Wolf. Und das Tosen der Brandung hätte sich manchmal so zweideutig angehört, daß die Eltern den Kindern die Ohren zuhielten.
Unter Horners Notizen von seiner Weltreise war diese Marybels liebste:
Gegen Mittag verhüllte sich die Sonne, und blickte verzerrt und trübe durch den verwirrten Dunst der niedrigen Wolken; schnellere Wogen warfen das Schiff. Endlich brach aus der grauen Nebelwand in Südost der Sturm los. Auf schleudernder Raa (denn der haltende Strick war zerrissen) band die verwegene Kunst die wilden Segel fest; man spannte die starken Sturmsegel auf, in solchen Fällen unsere letzte Zuflucht; was den vorigen Stürmen getrotzt hatte, war diesem Winde ein Spielwerk. Er zerriß die Stricke und warf die Lappen nieder. Wer beschreibt das übermächtige Tosen des immer wilderen Sturmes, das einem immerwährenden Donner glich, alle Sinne betäubte, oder wer vermag das Toben der ungeheuren Wassermassen zu mahlen, die mit zerstörender Schnelle dem Winde enteilten! Um 4 Uhr wüthete der Wind, was kaum möglich schien, mit verdoppelter Kraft; das Barometer war noch um zwei Zolle gefallen. Die Erwartung der Nacht war schrecklich, jeden Augenblick am nahen Lande zerschmettert (denn seit zwei Tagen saßen wir nach den Karten schon darauf) oder im offenen Meer begraben zu werden, war die langsam tödtende Aussicht. Unterdessen trieben die entfesselten Elemente ihr steigendes Spiel; was vermochte das Gehäuse von Holz gegen ihre Wuth? Auf dem Verdecke konnte man weder das Vordertheil des Schiffes noch die Höhe über dem Mars erkennen. Dicker Wasserstaub strömte durch die Luft, es waren keine Wolken, kein Nebel, sondern das finstere Chaos lag über dem aufgewühlten Meere. In stiller Gelassenheit erwartete jeder die zögernde Entscheidung; nicht der Tod, aber der ungeheure Apparat war gräßlich. Um 8 Uhr endlich wurde es plötzlich still; das Schiff, vom Winde nicht mehr gestützt, wandte, und eine schwere Woge warf sich aufs Verdeck, und schlug den linken Flügel der Hinter-Cajüte weg. In Strömen schoß das Wasser durch die Cajüten, die Lichter waren ausgegossen; einige sagten sich ruhig, als die von der Todesangst erlöst waren, das Lebewohl, andere unten im Schiffe, den offenen Anblick der Gefahr scheuend oder der Bewegung ungewohnt, oder die quälenden Geistermit flüssigem Geiste tödtend, als das Wasser hinunterrann, glaubten mit Geschrei und Verwirrung das Schiff sinkend und in den Fluthen begraben. Die gefährliche Stille brach plötzlich ein entgegengesetzter Sturm aus Südwest. Im Streite der alten Wellen mit dem neuen Winde erbebte das biegsame Schiff, der wilde Tanz begann mit erneuerter Wuth. Das Barometer, vorher ganz unter die
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