Sax
Denkmalpfleger nicht. Schuppisser heißt er. Morgen um zehn habt ihr ein Rendezvous. Er will die Kuppel sehen.
Und feststellen, daß der Feuerlöscher immer noch fehlt, sagte er. Aber wenn es brennen soll, hilft auch kein Feuerlöscher. Danke jedenfalls für die Erinnerung, sagte Achermann. – Ich gehe jetzt hinauf und beginne mit dem Rätsel, mit oder ohne Jacques.
Er ist bei Dr. Tschirky, sagte sie. – Sie besprechen Florians Operation. Ich glaube, mit Jacques kannst du nicht mehr rechnen.
Gute Nacht dann, wenn wir uns nicht mehr sehen. Meinetwegen wirst du ja nicht bleiben wollen.
17
1994. Schuppisser
Der angekündigte Besuch des Denkmalpflegers ließ nichts Gutes erwarten. Mit Schuppissers Vorgänger hatte Jacques einen langen Strauß ausgefochten, wegen des Einbaus eines Lifts. Das Haus war alles andere als rollstuhlgängig, und Jacques könne seine eher gestandene Damenkundschaft zwar «auf Händen tragen, aber nicht acht Treppen hoch». Bald danach wurden Behinderte öffentlich stärker wahrgenommen, Asser und, zu seiner eigenen Verwunderung, auch Achermann profitierten vom Bonus der Prominenz, und siehe da: plötzlich vertrug sich ein Lift mit dem barocken Treppenhaus. Ein Jahr vor den Nationalratswahlen galt Sidonie als einflußreiche Kommunalpolitikerin, während ihr Mann nicht viel Imageförderliches hergab, außer vielleicht dem Oldtimer-Jaguar, der ihn als spleenigen Gentleman auswies. Und alsbald begann die veröffentlichte Nachrede auch an Achermann etwas Englisches zu entdecken und ihm «Understatement» zuzuschreiben. Damit war auch seine Reizlosigkeit halb entschuldigt, denn er rauchte nicht, trank nicht und ging nicht fremd. Sidonie dagegen unterstellte man «gesunde Härte». Diese hatte sie gerade Arm in Arm mit Schieß an den Tag gelegt, als Jeanne d’Arc in der Landesverteidigung gegen den europäischen Wirtschaftsraum, die in der Volksabstimmung vom 6. Dezember 1992 zum Triumph des Alleingangs führte.
Was für eine Nikolausüberraschung! sagte Jacques, wir stecken uns selbst in den Sack der bösen Buben, aus lauter Angst vor der Bescherung. Es könnten uns ja nicht alle Wünsche erfüllt werden! Und wie wird sie nun aussehen, die glorreiche Autonomie? Wirwerden für jeden Wunsch einzeln bei den Europäern vorbeikommen müssen, auch noch bei jedem einzelnen Land, mit jedem ein kleines Paketchen schnüren und vor lauter Paketchenschnüren gar nicht mehr zum Regieren kommen, bis das Land selbst einpacken kann. Und dafür können wir uns dann bei Herrn Schieß bedanken! – Jacques drückte sich noch milde aus. Früher hatte man über den Erfolg der Vaterländischen Sätze gehört wie: Idioten aller Länder, vereinigt euch! Es war ihm ernst mit der Sorge, daß die «Nationalneurotiker» das europäische Nachkriegsprojekt, eine der wenigen Hoffnungen für die Menschheit, versenken könnten. Er hielt Schieß für eine kleine Nummer, aber inzwischen habe er genug Nullen hinter sich, um auch politisch wie ein Milliardär aufzutreten.
Seit Hubert mit Sidonie verheiratet war, nahm Jacques zwar ein Blatt vor den Mund, aber die Nähe zu Hubert hatte zu leiden begonnen. Ohne Entschuldigung allerdings war er noch keinem Rätselabend ferngeblieben, und konkurrenzlos gegen Zebedäus anzutreten bereitete Hubert keinen Spaß. Er tat es aus mystischem Pflichtgefühl, wie Moses in der Kinderbibel die Arme erhoben hatte, damit sein Volk Israel gegen die Amalekiter siegreich blieb, wofür er freilich die Hilfe zweier Freunde in Anspruch nahm. Doch ihn, Achermann, stützte niemand mehr, und die Zeichen häuften sich, daß alte Freunde den Ehemann Sidonies allmählich zu den Amalekitern rechneten. Wirklich gab er nach außen keine Differenz zu seiner Frau zu erkennen, denn auch die unschuldigste ließ sich aufblasen und gegen sie verwenden. Das Bild der Harmlosigkeit, hinter dem er verschwand, war ein Schutz für beide. Aber seit er einen großen Teil seiner Zeit auf dem «Gugger» verbrachte, behielt die «Sicherheit» auch ihn im Visier und machte zwischen Schutz und Kontrolle keinen Unterschied. Noch war die Schweizer Politik eine Zone ohne Attentate und Entführungen; auch Bundesräte konnten wie Privatleute auf dem Markt einkaufen, Tram fahren oder ins Kino gehen. Aber dabei brauchte es nicht zu bleiben – und die Vaterländischen, die das Land polarisierten, sorgten durchdas Einladende ihrer Warnungen am meisten dafür, daß es nicht dabei blieb.
Es kam vor, daß Hubert Achermann untertauchte. Das
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