Sax
Weg von Wien nach «Livland» nicht scheut. In der Folge stellen er und die ältere Emmy bei der jüngeren Emmy eine ungünstige Entwicklung fest.
Sie zeigt einen ungemessenen Ehrgeiz, der im Mißverhältnisse zu ihrer kärglichen Begabung steht.
Man vermutet, daß bei dem älteren Mädchen eine familiäre Paranoia durchschlage, denn
sie wurde unbotmäßig und selbst gewalttätig gegen die Mutter
. Von der jüngeren, anfangs vorzugsweise gehaßten Tochter ist jetzt keine Rede mehr. Das Trauma der Mutter bleibt verschwiegen, woran Freud und sein Kollege Breuer ihren Anteil haben, da sie sich bei ihren Berichten
leider nicht bloß von wissenschaftlichen Rücksichten bestimmen lassen durften. Unsere Erfahrungen entstammen der Privatpraxis in einer gebildeten und lesenden Gesellschaftsklasse, und ihr Inhalt berührt vielfach das intimste Leben und Geschick unserer Kranken. Es wäre ein schwerer Vertrauensmißbrauch, solche Mitteilungen zu veröffentlichen, auf die Gefahr hin, daß die Kranken erkannt und Tatsachen in ihrem Kreise verbreitet werden, welche nur dem Arzt anvertraut wurden.
So mußte Achermann auch Freuds Skizze Frau Emmys für diskret zensiert halten, wenn er sie eine «Hysterika» nennt, die sich überwiegend mit bestimmten Körpertics, besonders einem eigentümlichen Schnalzen, zu erkennen gibt. Aber sie ist
mit größter Leichtigkeit in Somnambulismus
zu versetzen, obwohl Freud anmerkt, daß es sein
erster Versuch in der Handhabung dieser Methode
gewesen sei,
und ich war noch weit davon entfernt, diese zu beherrschen
. Immerhin gelingt es immer wieder, der hypnotisierten Patientin quälende Symptome auszutreiben, traumatische Erinnerungen zu löschen oder wegzukommandieren, wenn die Kur auch nie von Dauer ist. Freud hilft aber auch mit Massagen nach,
zweimal täglich am ganzenKörper
, etwa
gegen Kälteempfindungen im rechten Bein, die vom Rücken oberhalb des Darmbeinkammes ausgehen
, eine intime Berührung, die sich die Kranke nie ohne ihre stereotype Warnung gefallen läßt:
Seien Sie still – reden Sie nicht – rühren Sie mich nicht an!
Immer wieder vertreibt sie ihre Ärzte durch ihr charakteristisches Schnalzen. Frau Emmys Anfälle von «Zoopsie» machen Stuhlbeine und Sessellehnen zu Schlangen, besetzen vertraute Wege mit Kröten, bevölkern eine Theaterbühne mit Rieseneidechsen, auch hält sie die Kleie in ihrem Bad für kleine Würmer.
Wenn so ein Tier im Bette wäre! Denken Sie sich, wenn das ausgepackt wird! Es ist eine tote Ratte darunter, eine
an-ge-nagte!
Sie war achtundzwanzig, und als ihre Kleine
so krank gewesen, habe sie sie im Delirium so heftig angefaßt, daß sie fast erstickt wäre.
Zwar läßt sie ihre Angstphantasien immer wieder fahren,
wenn Sie es verlangen
, aber dann wird ihr sein Verlangen zuviel, sie reist ab, und erst ein Jahr später
gab sie sich wieder in meine Hände.
Der
Sturm im Kopfe
ist ungebrochen,
sie stotterte und schnalzte sehr viel, rieb häufig wütend die Hände aneinander, und als ich sie fragte, ob sie viele Tiere sehe, antwortete sie nur: Seien Sie still!
Sie verweigert die Nahrung, er versucht,
ihr reichlicheres Trinken anzuraten
, auch
etwas Übergewicht schien mir immerhin erstrebenswert
; ihre Antwort:
Ich werde es tun, weil Sie es verlangen, aber ich sage Ihnen vorher, es wird schlecht ausgehen, weil es meiner Natur widerstrebt
, und sie bekam dann auch pünktlich Magenschmerzen.
Ich habe es Ihnen ja gesagt. Jetzt ist der ganze Erfolg wieder weg, um den wir uns so lange gequält haben
.
Der Arzt sieht sie jetzt
in voller Auflehnung begriffen
und stellt ihr ein Ultimatum, wenn sie ihre Eßgewohnheiten nicht ändere, worauf sie
demütig und mürbe
wird und ihre Magenschmerzen verleugnet:
Ich glaube, daß sie von meiner Angst kommen, aber nur, weil Sie es sagen.
Ein Machtkampf, in dem das hartnäckige Leiden am längeren Hebel sitzt; die Patientin gibt den Arzt auf, Freud erfährt, daß
der unerquickliche Zustand ihrer Tochter … Ihr Wohlbefinden endlich doch untergraben habe
, sie verlangt die Erlaubnis, einen anderen Arzt zu konsultieren, den sie, wie Freud voraussieht, nicht weniger auflaufenlassen wird als ihn,
ich verzichtete also schriftlich auf mein ausschließliches Vorrecht.
Jacques kommt heute nicht, hörte er hinter sich sagen und fuhr derart zusammen, daß die dünnen Blätter in seiner Hand zitterten wie Espenlaub.
Marybel, rief er, du kannst einen zu Tode erschrecken!
Nur wenn man den Tod fürchtet, sagte sie. – Vergiß den
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