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Sax

Sax

Titel: Sax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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Astronomische Fachkenntnisse unentbehrlich!
    Exotischer kann man sich keinen Partner suchen, und doch traf die Antwort schon in der nächsten Stunde ein:
Wie lange habe ich aufdeinen Ruf gewartet. Caspar.
– Ob der Partner so hieß, ließ sich natürlich nicht nachprüfen, aber auch er lieferte ein Profil seines Gesichts im Warhol-Stil, demjenigen Horners in der Kuppel nicht ganz unähnlich.
Caspar
schrieb kein Kurzfutter, sondern Abhandlungen, die der Leserin etwas abverlangten. Dafür nahm Marybel an Wochenenden die Kuppel in Beschlag. Sie setzte sich in einen Liegesessel, und wenn sie die Augen schloß, wurde Caspar im anderen sichtbar. Hinter ihm zog der Südhimmel auf wie eine schwarze Wandtafel zum Beschriften. Einen schönen Sommer lang tapezierte
Fanny
im Verein mit
Ach Caspar
die südliche Himmelshalbkugel mit neuen Sternbildern und schmückte sie mit dem Geschenkband eines eigenen Tierkreises.
Caspar
brachte ein astronomisches Know-how mit, das sich nicht auf den Wissensstand des historischen Horner beschränkte; der hatte gerade noch die Entdeckung des Uranus erlebt.
Caspar
aber wußte über
Hubble
Bescheid, über Quasare, schwarze Löcher und interstellare Materie, während Marybel die Bedeutung der Sterne lieber aus ihrem Leben schöpfte. Sie hatte den Namen
Rigel
schon im Schulatlas geliebt, als sie ihn noch nicht als linken Fuß des
Orion
sehen konnte und schon gar nicht wußte, daß er ein Blauer Riese war, also ein Stern im besten Mannesalter. Nun lernte sie seinen arabischen Hintergrund kennen, seine Spektralanalyse und seine Verbindung mit anderen Sternen –
Betelgeuze
, zum Beispiel, die kaum auszusprechen, aber wegen ihres hohen Alters zu respektieren war. Sie war ein Roter Riese, der sich vielleicht schon in tausend Jahren – einem astronomischen Sekundenbruchteil – zum Überriesen blähte und ein Ende mit Schrecken nahm. Dann würde sie, größer als der Mond, über uns aufgehen wie eine Blase voll Blut. Und wenn sie zugleich ein Gewitter von Gammastrahlen losließ, dann gnade uns Gott! Es mußte allerdings noch nicht das Ende sein. Dieses kam um so sicherer in fünf Milliarden Jahren, wenn auch die Sonne, heute noch ein Gelber Zwerg, allmählich zum Roten Riesen wurde. Dann wurde die Erde im Feuerofen gebacken – zuvor mußte sich der Mensch, wenn ihm sein bißchen Leben lieb war,auf einen anderen Himmelskörper unserer Galaxie abgesetzt haben, der sich einigermaßen gastlich zeigte. Für die Vorbereitung dieser interstellaren Reise blieb uns nur noch eine lächerlich kurze Zeit, astronomisch betrachtet. Vielleicht mußten sich unsere Gene verkapseln lernen, in der Art einer Kokosnuß, für welche die Dimensionen des Pazifischen Ozeans keine Barriere dargestellt hatten, um Tausende von Kilometern entfernte Eilande mit Palmen zu besiedeln. Im Weltraum hatte man allerdings einige tausend Lichtjahre unbeschadet zu überstehen. Aber dazu kam es wohl gar nicht erst, da wir – davon war
Caspar
überzeugt – schon in wenigen Jahrzehnten die Ressourcen des Raumschiffs Erde völlig geplündert hatten. Jeder könne Gott danken, der zuvor selbst schon Erde geworden sei und mit den bevorstehenden Verteilungskämpfen nichts mehr zu tun habe. Dabei würden sich auch die letzten Züge von
humanitas
verflüchtigen, und die wenigen, die sich daran erinnerten, würden selbst finden, daß es um den Menschen nicht mehr schade sei. Aber das
Leben
gehe noch lange weiter und wahre sich die Chance zum nächsten Anlauf, der Schöpfung eine neue Krone aufzusetzen – aus Flechten etwa oder autonom gewordenen Viren.
     
    Für Hubert Achermann war das Weltende einstweilen nicht größer als die verschwundene Linde. Er trat nur noch ungern an den Rand der Terrasse. Wo ein Platz zum Leben gewesen war, begannen sich Lücken auszubreiten, eine nach der anderen. Als erstes war das Lokal «Jardin Noir» verschwunden. Im August vorletzten Jahres hatte sich das Gartenbauamt erstmals mit der Linde beschäftigt. Danach hatte es den Anwohnern mitgeteilt, daß der Baum weichen müsse, «aus Sicherheitsgründen». Man habe Markfäule festgestellt. Aber im Frühling danach hatte er getrieben wie immer, hatte geblüht und sein Laub fallen lassen, etwas früher als sonst. Und in diesem Frühling trieb er noch einmal, doch viele Zweige blieben kahl, und das Laub dorrte schon im August. Im September trieb schockfarbenes Personal die toten Blätter mit fauchendem Blasgerätzusammen. Im November fuhren Hebebühnen auf, und Männer,

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