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Sax

Sax

Titel: Sax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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    Da läutete es.
    Schuppisser, sagte eine tiefe Männerstimme in der Gegensprechanlage.
    Achermann fuhr mit dem Lift ins Parterre und öffnete die Tür. Da war niemand. Aber auf der anderen Gassenseite stand ein Mensch, schmal wie ein Strich, und ließ seinen Blick über die Fassade des «Eisernen Zeit» wandern. Dann kam er herbei und drückte Achermanns Hand so fest, daß dieser beinahe aufgeschrien hätte.
    Schuppissers Gesicht wirkte ausgezehrt und verlängerte sich durch eine Art Kamm, zu dem sein schiefergraues Haar hochgebürstet war. Die Augen lagen klein in tiefen Höhlen und waren gerötet; er trug knappe schwarze Röhrenhosen und eine gelbe Krawatte auf dem orangefarbenen Hemd, dessen Manschetten ungemein sehnige Hände hervortreten ließen. Wenn er gesprochen hatte, ließ er einen Augenblick den Mund offen. Der Ausdruck mochte schalkhaft gemeint sein, aber er hatte etwas Drohendes, wie die Bedächtigkeit seiner Bewegung und die Tiefe seines Basses.
    «Zum Eisernen Zeit», knarrte er. – Starker Name für die Sonnenuhr. Das Hauszeichen noch spätes Mittelalter, aber das Portal: Barock pur. Man sieht ihm nicht an, daß es zweihundert Jahre lang nur eine Hintertür gewesen ist – Sie kennen die Geschichte? Ein Freudenhaus, aber mit feiner Klientel. Für gewöhnliche Sterbliche verschlossen. Ist doch artig, wenn eine Tür nur den Sinn hat, die Fassade zu wahren!
    Er ließ seine Hand über das Türholz streichen wie über einen Geigenkörper und sagte schon auf der Schwelle: Aber ich komme wegen der Sternwarte.
    Sie war also kein Geheimnis für die Denkmalpflege. Daraufhatte sich Achermann gefaßt gemacht. Er bot den Lift an, aber Schuppisser sagte: Was wir nicht bewilligt haben, benütze ich nicht. Ich nehme die Treppe.
    Sie stiegen an den ziselierten Glastüren des zweiten und dritten Stocks vorbei, die das Panzerglas der «Phryne SA» kaschierten.
    Ja, die Leus, sagte Schuppisser. – Ich habe Sie bei der Beerdigung nicht gesehen.
    Unsere Mitgesellschafterin war da, sagte Achermann.
    Anne Marie Kohlbrenner, sagte Schuppisser. – Eine originelle Frau.
    Wir kommen gleich bei ihr vorbei, sagte Achermann.
    Wenn Schuppisser zur Kuppel wollte, mußte man auf der vierten Etage haltmachen. Aber er stieg weiter. Als sie auf die Terrasse hinaustraten, zog er Luft durch die Zähne. – Ein verwunschener Garten.
    Fehlt nur die Linde, sagte Achermann. – Mir fehlt sie sehr.
    Das «Eiserne Zeit», sagte Schuppisser. – Der «Schwarze Garten». Eines Tages holen die Namen die Sachen ein. Wer wohnt jetzt hier? – Er deutete auf Horners Dachwohnung.
    Niemand mehr. Mein Kollege Schinz oder ich übernachten hie und da.
    Eine Absteige, sage Schuppisser. – Das Anwaltskollektiv. Das war einmal. Aber je größer man wird, desto unsichtbarer. Horners Kuppel nutzen Sie nicht?
    Manchmal setze ich mich eine Stunde hinein und denke nach.
    Sie standen am Geländer, Schuppisser blickte über die Stadt, dann in den Hof, auf den Strunk mit seinem hohlen Kern, der aus der Höhe wie polierter Bernstein wirkte.
    Ich möchte Ihre Zeit nicht ungebührlich in Anspruch nehmen, Herr Doktor. Ich habe ein paar Jahre bei der UNESCO gearbeitet, darum sind wir uns noch nicht begegnet. Aber ich kenne dieses Haus länger als Sie. 1968 bekam der damalige Denkmalpfleger Isenschmid den Auftrag, es auf Störquellen abzusuchen, die angeblich Peter Leus Gesundheit untergruben. Physikalisch ergab sichkein Befund. Leus Vater hatte schon früher Wünschelrutengänger und Teufelsaustreiber kommen lassen, denn er glaubte an Spuk. Aber Klartext war seine Sache nicht. Er redete von «Störquellen» und verlegte das Elend mit seiner Ehe in die Vergangenheit des Hauses. Dafür ist dann die Denkmalpflege zuständig. Eigentlich war es nicht zum Lachen. Aber bei einem Narren kann man nicht viel verderben, dachte Isenschmid – so kam ich zu meinem ersten Auftrag. Ich bin der Geschichte des Hauses nachgegangen, soweit die Quellen reichen, und habe es zentimeterweise untersucht. Und siehe da, Peter Leu hatte recht. Das Haus hat, was man bei kränkelnden Menschen einen
Herd
nennen würde – einen chronischen Defekt. Und er saß tatsächlich in dieser Sternwarte. Doch zu beheben war er nicht. Da haben wir sie dichtgemacht.
    Er zerrte die Ranken des Geißblatts auseinander, klopfte gegen das Holz und lauschte dem Klang nach, als stimme er ein Instrument.
    Die Büchse der Pandora! Wir glaubten sie ausreichend versiegelt. Aber da tritt gefährliche Strahlung

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