Sax
sie das Gesicht, wie bei einer Mondfinsternis und waren ihrerseits unsichtbar geworden, wenn die Scheibe wieder zum Vorschein kam.
Guten Tag, Herr Fries. – Guten Tag, Herr Doktor. Haben Sie das Schriftchen gelesen? – Besten Dank. Jetzt weiß ich alles über das Haus. –Wann ziehen Sie denn ein? – In einem Monat. – Hoffentlich fühlen Sie sich wohl. Ihr Vater will immer nur Ihr Bestes. – Das soll er nicht kriegen. – Herr Doktor, Sie wissen hoffentlich, was der Name «zum Eisernen Zeit» bedeutet? – Die Sonnenuhr. Sie steht auch über dem Portal. – Aber wissen Sie auch, wie das Haus früher geheißen hat?
Fries ist wie Sokrates. Er will immer wissen, was einer nicht weiß.
«
Zum Sitkust».
–
Was heißt das? – Ein Sitkust ist ein Papagei, der Vogel der Jungfrau Maria. Und wissen Sie, warum? Weil er AVE sagt! Der Papagei war ihr Grußvogel: Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir. Du bist gebenedeit unter den Frauen. – Ich habe noch keinen Papagei AVE sagen hören
, sagte ich, worauf sich Fries nach Kundschaft umblickte, und als die Luft rein war, begann er durchdringend zu krähen.
AVE, haben Sie es gehört? Und jetzt kehren wir den Schrei mal um. – Wie kehrt man einen Schrei um?
– Er krähte gleich nochmals.
Das war EVA
, sagte er errötend,
Eva ist das Sündenweib, mit den gleichen Buchstaben. – Also eigentlich auch die gleiche Frau. – Das haben
Sie
gesagt. Herr von Sax war reformiert, darum verlangte er, daß er das Haus «zum Sitkust» umtaufen dürfe, sonst werde nichts aus dem Kauf. Die katholische Richtung paßte ihm nicht. – Aber was paßte ihm denn an der Sonnenuhr?
– Die letzte tötet, sagte Fries,
das war keine Drohung, es war ein Trost. Er meinte nicht nur die letzte, eigentlich meinte er jede Stunde, denn aus jeder war das nötige Quantum Tod zu saugen. – Was versprach er sich denn vom Tod? – Daß er endlich mal was erlebt. – Aber er hatte doch ein enorm bewegtes Leben. – So sieht es aus, aber ob es auch so war, zeigt sich erst, wenn einer stirbt, und
ob
er stirbt. – Aber Freiherr von Sax ist doch im Mai 1596 gestorben. Weil ihm sein böser Neffe das Jagdmesser über den Schädel gezogen hat. – So sieht es aus, aber kann sein, er hat es gar nicht bemerkt. Er war vielleicht auch nie sicher, ob er gelebt hat, Leben kann man auch kopieren, wenn man das nötige Training hat, und so eins war die Reformation. So tun, als ob man lebte, ist lernbar. Da lebt einer noch lange nicht, und am besten läßt er’s gar nie so weit kommen. – Aber wenn einer vielleicht gar nicht gelebt hat, wie kann er dann sterben? – Kann er eben nicht. Kann sein, der Tod fällt ihm gar nicht auf.Der Sax hatte doch seine Schädelwunde weg, und was tut er? Geht nach Hause und schreibt einen Brief an den Hohen Rat zu Münsterburg, beschwert sich über seine Wunde und merkt gar nicht, daß er an ihr schon gestorben ist. Er vergißt seinen Körper im Sarg, geht persönlich nach Münsterburg und staunt ein wenig, daß die Leute bei seinem Anblick in Ohnmacht fallen, er ist doch unverändert. Mit seiner Stundenuhr im Kopf hat er gar nie gemerkt, wann etwas Zeit ist und wofür. Ein Leben, das nie gewesen ist, ist auch nie richtig vorbei. Das ist kein Märchen, Herr Doktor: Wer nicht gestorben ist, der lebt auch heute noch nicht. Der kann jederzeit wieder im «Eisernen Zeit» vorbeikommen und durch Lebende gehen wie durch Wasser, so, wie die jungen Leute mit dem Walkman im Ohr durch den Bahnhof gehen. – Und wie hilft man ihm ins Jenseits? – Um Gottes willen, da ist er doch schon lange. Jenseits, das hat er doch immer schon gehabt, mehr als genug, immer, immer nur Jenseits! Nur kein Jenseits mehr, was er braucht, ist ein ordentliches Diesseits, endlich was Ganzes. Zum Glück steckt auch im ganzen Tod ein ganzes Leben. – Man müßte ihn also einmal zu Tode erschrecken
, sagte ich,
zu Tode erschrecken über sich selbst. – Sie sagen es, Herr Doktor, das wäre seine Rettung. Aber das können nur Leute, für die der Tod den Schrecken verloren hat.
Die Bühne war erloschen, als Jacques anfing, sich in eine Art Trance zu reden, und nur den Nächststehenden fiel auf, daß er sich dabei immer wieder an die Brust griff.
Danke, Freunde, das war’s. Danke, Sidonie, danke, Hermann. Und jetzt kannst du die Papageien wieder aufziehn, Moritz. Die Fische. Danke, vielen Dank.
Er ließ sich zu Boden sinken und lehnte sich an die Turmwand. Moritz kniete neben ihm. Alles
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