Sax
er jetzt auf seine Art, nachdem er auch den «Zinstragenden Sparhafen» aufgehoben hatte, nicht ohne die Einlagen der Kundschaft als Abschiedsgeschenk zu verdoppeln. Am Ende war überaus überblickbar, was ihm persönlich gehörte, und es traf sich gut, daß Haushalten etwas war, was er nicht erst zu lernen brauchte. Er besaß genug, um seinem Vater und vor allem Tövet, der sein Leben lang nie an Versicherung gedacht hatte, über Wasser zu halten und mit dem Nötigsten zu versorgen. Bis für die Stiftung ein besserer Träger gefunden war, ließen sie die Vorstände einstweilen bestehen. Zwei «Korbflechter», die sich Karl und Rosa nannten, fingen im «Fabrikli» ein neues Leben an, nachdem sie den rechten Schlüssel gefunden hatten, mit dem das alte für immer abzuschließen war. Diese Umkehr wurde ihnen durch die Liebe sehr erleichtert. Sie allerdings waren so ernsthaft, wie es nur junge Konvertiten sind. Selbst ein Gespenst, das erfahrene Geisterseher für endgültig gebannt hielten, begann bei ihnen ganz frisch aufzuleben: das Gespenst des Kommunismus. Karl war Iraner aus Sheraz, Rosa Australierin mit chinesischen Wurzeln. Als frischgebackene Kommunistin hatte sie ein Mittel gefunden, dem Land ihrer Ahnen, der erbarmungslosesten Ökonomie auf dem Globus, wieder eine Seele zu geben. Der gemeinsame Haushalt im «Fabrikli» schloß Tövet ein, auch seine Pflege, die ihr Moritz getrost überließ, wenn er zwischen New York und Hongkong mit der Abwicklung seines Wolkenkuckucksheims beschäftigt war.
Im übrigen war Tövet gewillt, der Krankheit ihren Lauf zu lassen. Auch wenn das Niveau, auf dem er wieder zu Kräften kam, jedesmal etwas tiefer lag, so waren die Zwischenzeiten doch so gute Zeiten, daß auch die Umgebung sie nicht mehr bei diesem Namen nannte. Es war Lebenszeit, und daß sie abnahm, war natürlich undhier einfach sichtbarer als anderswo. Was Moritz betraf, so wäre der Verdacht wohl nicht falsch, er habe den verlorenen Ernst seiner weltweiten Unternehmungen in der kleinen Krautfabrik gesucht. Aber mehr als die halbe Wahrheit wäre es nicht, denn vor allem suchte er die verlorene Freude am Leben wieder. Und diese fand sich zwanglos bei einem Gefährten, der imstande war, sein Schicksal ohne Fatalismus zu lieben. Tövet nahm das Leben von Tag zu Tag, oft von Minute zu Minute; für diese bescheidene Kunst besaß er eine natürliche Begabung. Er steckte andere mit seiner Musik an, auch wenn er einmal nicht zur Gitarre greifen konnte und ihm die Zunge stockte.
Von Hermann Frischknecht dagegen ist leider nichts Erhebendes zu berichten. Daß er am Erfolg seines Geschäfts litt, ist eine seltsame, doch wahre Behauptung. Es war der Unernst hinter dem Bierernst, mit dem seine Kundschaft das Fitneßgerät traktierte, was seine Würde beschädigte und mit der Selbstachtung auch seine Seele. Hatte er dafür gelebt, daß solche Leute länger lebten? Mit seinem verlorenen Gesicht gehörte er nirgends mehr hin. Er hatte ein Bankkonto, aber keinen Menschen, der zu ihm gesagt hätte: du bist mein. Und jetzt wurde er auch noch alt.
Soviel zu den Männern der Nullerjahre. Die Frauen ließen sich vom Unernst der Geschichte nicht beeindrucken. Sie setzten sie unerbittlich fort.
Sidonie war im letzten Jahr des alten Jahrhunderts auf der Vaterländischen Liste in den Nationalrat gewählt worden. Auf dem dreizehnten Listenplatz aufgestellt, hatte sie die zweitmeisten Stimmen gemacht, direkt hinter Schieß persönlich. Sie waren das politisch herrschende Paar. Er gehörte zu den Männern, die sie für die Erhaltung ihrer Position brauchte. Dazu gehörten auch Robert («Bob») Wittwer, Verwalter des «Gugger», der ihr den Rücken freihielt, und ein europaweites Netz von Gesinnungsgenossen, die sie sich als Gäste und Referenten des Zentrums nachgezogen hatte. Auch ihr Sohn Salomon gehörte dazu, der in Shaidan, dem kleinstender acht Vereinigten Emirate, als Vertrauter des Herrschers Rashid bin Hasher mit dem Aufbau eines Medienzentrums beschäftigt war. Hubert Achermann gehörte nicht dazu, doch als Beweisstück einer liberalen Ehe war er auch nicht ganz entbehrlich. Er bewohnte die Klause mit dem ummauerten Steingarten und schrieb angeblich ein Buch über den Hausheiligen Caspar Bluntschli, den Staatsrechtslehrer des 19. Jahrhunderts. Tatsächlich arbeitete er, wie dieser, an einer europäischen Verfassung, aber in der Art Penelopes, nur mit vertauschten Tageszeiten. Bei Tage zerriß er den Text regelmäßig, den er in
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