Sax
sich an seinen Namen erinnerte, aber als Wienerin lebte sie in der Annahme, daß ein Titel nie ganz falsch sein kann.
Als er am nächsten Nachmittag wiederkam, regnete es in Strömen, was Thomas Schinz nicht hinderte, auf seinem Beobachtungspostenzu sitzen, nur daß der weiße Schirm jetzt als Regenschirm diente.
Guten Tag, Herr Schinz. Etwas Neues entdeckt?
Trockenwohner. Selbst nicht trocken hinter den Ohren. Und die blaue Mauritius habe ich
doch
.
Das ist schön, sagte Achermann, ohne zu wissen, wovon der alte Mann sprach.
Es geht nicht mehr lange! griente er und sah Achermann das erste Mal an.
Ihre Frau hat mich zum Tee eingeladen, sagte Achermann. – Wenn Sie erlauben, läute ich jetzt. Hoffentlich setzen Sie sich ein wenig dazu.
Ein Hurenhaus! wiederholte Schinz und mümmelte heftig. – Aber
es kommt!
Achermann mußte sich über ihn beugen, um zu klingeln, und bis sich Schritte näherten, herrschte eine unbehagliche Stille. Als Mara öffnete, sagte Schinz: Und dir schneidet er den Hals ab.
Treten Sie ein, Herr Doktor. Bitte drück auf den Knopf, wenn du was brauchst. Es geht ihm gut, Sie hören es. Er macht wieder Witze. Bitte treten Sie ein.
Der ehemalige Kraftraum, zu dem drei kleinere Zimmer zusammengelegt worden waren, hatte sich in einen Wintergarten verwandelt. Man ging durch eine Gruppe Topfpalmen zur Sitzgruppe und saß wie in einer Oase. An der Wand hing ein altmodischer Klingelzug, den Mara betätigte. Man hörte es trippeln, und eine Servierdame mit Häubchen und weißer Schürze kam zwischen den Bäumen hindurch und erkundigte sich nach den Wünschen in einer östlich gefärbten Sprache. Die Tochter des Realitätenhändlers orientierte ihren Geschmack an der alten Donaumonarchie, und den Palmenwald hatte man wohl als hochkonzentrierte Kaffeehauskultur zu verstehen. Aus dem Fitneßcenter war ein Rollstuhlparadies mit eingebautem Lift geworden, und Achermann erfuhr, daß der alte Herr seine Villa verkauft hatte.
Jetzt beobachtet er, sagte Mara. – Es ist seine letzte Freude.
Was sieht er denn?
Er sieht Ihr Haus bröckeln, nichts für ungut, Herr Doktor.
Wenn es dunkel war, sah er einen schwachen Schein hinter den Fenstern, als belebe sich ein Computer von selbst; aber das blaue Licht wanderte von Fenster zu Fenster. Peter Leu will sein Haus zurück, sage er dann, die Kommunisten haben es ihm gestohlen.
Thomas sieht gut, nur ganz andere Dinge. Er glaubt, daß Ihr Haus von Geistern besucht wird, und oft verwechselt er sie mit lebenden Frauen. Er hat Enttäuschungen erlebt, wissen S’, eigentlich sieht er keine Frau mehr an. Dafür sieht er Geister. Am hellichten Tag sieht er sie noch besser. Dann sehen sie aus wie diese Marybel. Gestern sahen wir Ihre Frau Gemahlin im Fernsehen. Da sagte er: das war die Geliebte von Jacques, und als er sie verließ, hat sie ihn getötet. Und dann sagte er noch etwas, das dürfen Sie gar nicht hören.
Sie war nie die Geliebte von Jacques, sagte Achermann.
Natürlich nicht, sagte Mara, aber wenn Sie sich einsam fühlen, kommen S’ einfach herüber, und wir trinken einen Kaffee zusammen. Soll ich Ihnen noch a bissel das Haus zeigen? Thomas braucht mich die nächste Stunde nicht.
Danke, aber ich habe noch zu tun. Das Haus wird ja nicht heute schon einstürzen.
Wer weiß, lachte sie kokett, aber wenn ich Sie noch um an G’falln bitten dürfte. Nehmen S’ doch des wieder mit.
Sie drehte das Bild um, das hinter ihrem Sessel an der Wand gelehnt hatte. Es war das große Fotoporträt Frau Dr. Fanny Mosers. Die Dame mit dem antiken Haarknoten und dem Perlenkranz auf der hohen Büste sah sinnend vor sich hin.
Es wundert mich, daß sie sich nicht selbst umgedreht hat, sagte Mara. – Das tut sie nämlich. Keiner rührt sie an, und scho’ hangt sie verkehrt. Oder sie fallt auf den Boden, das ist jetzt zum dritten Mal vorgekommen, auch wenn sie ganz frisch aufgehängt war. Fällt auf den Boden und tut sich nichts dabei, nur der Flügel kriegt wieder eine Schmarre.
Aber Ihr Mann hängt doch an dem Bild.
Jetzt kann er’s nicht mehr ansehn. Sie habe sogar den eigenen Sohn verdorben, davon sei er geworden, was er ist.
Fanny Moser hatte keine Kinder, sagte er.
Es geht mich ja nichts an, aber Thomas sagt: Fort mit Schaden.
Marybel wird sich freuen, sagte Achermann.
Draußen goß es immer noch, doch der Rollstuhl stand unverändert auf seinem Hochsitz, und Schinz schien zu dösen. Doch als Achermann vorbeiwollte, war er hellwach.
Ausgevögelt? fragte er.
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