Sax
überall einen kleinen Keil zu hinterlassen, den seine ausländischen Gesinnungsfreunde in die europäische Einheit treiben konnten. Er baute an einer Schatten-Eidgenossenschaft der Unzufriedenen jenseits der Grenzen und empfahl sich als starken Mann für alle Fälle. Die Kollegialität im Bundesrat übertrieb er nicht, aber unterlief sie auch nicht geradezu, sondern zeigte sein Dilemma als Mitverantwortlicher eines Systems, das er für defekt hielt, mit einer Art drohender Behaglichkeit, die als Charakterrolle durchging und an die sich sogar seine politischen Gegner gewöhnten. Sie wiegten sich im Trost, die Schweiz sei zuverlässig zu klein für einen wirklich großen Schaden und die kantonale Feinkammerung verhindere ein grobes Leck.
Im «Gugger» gingen neuerdings Vertreter der Vereinigten Emirate in Maßanzügen ein und aus. In Gesprächen mit Bob Wittwer, dem Verwalter, und dem Künstler Numa Gaul wurde die Umwidmung des Zentrums verhandelt, in die der Emir von Shaidan groß zu investieren gedachte. Es ging um ein externes Spielbein von
Shaidan World
, einer futuristischen Bildindustrie, in der Salomon Wirz eine Schlüsselrolle einnahm. Im März erschien er auch persönlich und verhandelte mit Gemeinde- und Kantonsbehörden über die Einrichtung einer Versuchsbühne für 4-D-Produktionen. Auf Einladung des Herrschers besuchten anderseits Schweizer Delegationen das Emirat, um sich über das Vorhaben einer
Picture Pit
bei Münsterburg kundig zu machen, und kehrten fast berauscht zurück. Die Technologie, die reale Landschaften in Bildträger verwandelte, verlangte keine Eingriffe in die gewachsene Natur, sah man von einer federleichten Dachkonstruktion ab. Die elektromagnetische Strahlung, an Schimpansen getestet, blieb im grünen Bereich. Daher nannte sich das Projekt ÖKODROM und war zugleich ein Open-air-Laboratorium für neurophysiologische Versuche.
Fallout
und
rub-off
für die Unterhaltungsindustrie waren kaum zu überschätzen,darum eröffneten sich auch sensationelle Marktperspektiven.
Die formelle Einweihung plante Salomon im September 2013, zum Siebzigsten Geburtstag seiner Mutter. Davon sollte sie einstweilen sowenig wie möglich mitbekommen, womit es keine Not hatte, da sie sich zur Zeit in Indien befand, auf einer Reise, die man sich auch spirituell denken durfte. Als neuer Besitzer des «Gugger» besaß Salomon Wirz jetzt freie Hand. Das Konsortium aus Shaidan verhandelte aber vor allem mit Wittwer, dem geschäftsführenden Direktor, und mit Numa Gaul als Intendanten des ÖKODROMS; sie besaßen Prokura, und Verträge waren nur mit beiden Unterschriften gültig.
Das hörte sich an wie der Entwurf für ein Theater, und mancher erinnerte sich daran, daß Sidonie von der Bühne hergekommen war. Wittwer aber, der die Abwicklung des Hofstaats durchgezogen und überlebt hatte, war für seine praktische Ader bekannt und für seine Nähe zu Schieß, obwohl er offiziell parteilos war. Das kam dem Projekt zugute. Schon im Juni waren die nötigen Bewilligungen eingeholt, und bald darauf landete ein Sonderflug der Emirate Airlines mit zweihundert Wanderarbeitern an Bord, sogenannten
Wiggles
– eine Verballhornung von «Uiguren» –, die in Westchina ausgehoben und den Emiraten per Jahresvertrag ausgeliehen wurden. Hier war Schieß, der am Dreischluchtenprojekt beteiligt war, zugestiegen und hatte den Export zugunsten des ÖKODROMS ausgedehnt. Die Maßnahme war politisch ebenso geschickt wie sozial vertretbar, denn die Unruhe der Minderheiten pflegte sich in einer fremden Umgebung zu legen, während ihre anspruchslose Arbeitskraft intakt blieb. Eine verschärfte Anwendung der Ausländergesetze sorgte dafür, daß die
Wiggles
keinen Anspruch auf Asyl erwarben und in bewachten Siedlungen zusammengefaßt wurden. Diejenige auf dem «Gugger» lag im Rücken eines Drumlins, wo die «Chinesen», wie sie von den Einheimischen ungerührt genannt wurden, zwar keine Seesicht hatten, aber auch nicht einsehbar waren, denn die Straßenzufahrt wurde einige hundert Meter von
billboards
begleitet, die verkündeten:
HIER ENTSTEHT EUROPAS ERSTES ÖKODROM.
Die Schautafeln ließen auf eine Anlage zwischen Kolosseum und Weltraumbahnhof schließen und zeigten die Verwandlung eines Hangs mit Panoramablick in ein monumentales Amphitheater, dessen Sitzreihengeometrie nur aus Rasenziegeln zu bestehen schien. Was hinter der Sichtblende wirklich entstand, ging fast ohne Baulärm ab, also von Hand und doch überaus speditiv. Denn nach
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