Sax
es, sagte Dörig sehr kurz. – Es muß nicht sein, daß die große Sache in privater Scheiße steckenbleibt. Zum Glück habt ihr Marybel. Die macht es richtig.
Es war Hubert Achermann, der den Gast die Treppe hinunter begleitete.
Wie geht es, Reinhold?
Die Weltrevolution erlebe ich wohl nicht mehr. Aber dem Moritz könnt ihr trauen. Jacques ist ein Kerl und bleibt ein Arschloch. Sogar Väter sind Menschen, das müßt ihr ihm mal beibringen. Auch Marybel behandelt er lausig. Wo bleibt ihr, wenn sie durchdreht?
Sie waren im ersten Stockwerk angelangt, dessen Tür sich geöffnet hatte. Leus Sekretärin wurde sichtbar.
Reinhold! War mir doch, ich hätte deine Stimme gehört!
Vera? jubelte er und küßte sie dreimal auf die Wange. Ich möchte mit dir essen. Wann bist du frei?
Oh – ich weiß gar nicht.
Also heute, sagte er. – Um acht in der Kronenhalle. Abgemacht?
Aber dann muß ich … sagte sie mit fliegender Röte. – Abgemacht! wiederholte sie und floh ohne Abschied.
Was bin ich für ein Mann! sagte er unter der Haustür. – Aber ein Nachtessen ist besser als nichts. – Übrigens wollte ich dir die Frage zurückgeben. Wie geht’s?
Glänzend.
Du hättest Kirchenlehrer werden sollen. Als ich dein Exposé las, ist mir der Kamm geschwollen. Meine Bieridee, und du machst ein Weißbuch der Theologie daraus. Nennt man so was nicht Theodizee? Mit deinem Papier kann ich getrost in die Grube fahren. Du hast hoffentlich nicht nur mein Mandat.
Eins habe ich noch. Die Klientin hat lange nichts mehr von sich hören lassen. Heute teilt sie mir mit, daß sie schwanger ist.
Interessant. Und was kümmert’s dich?
Ich bin der Vater des Kindes.
Schreibt sie das? Kennst du den Lebensstil der Dame?
Es gilt, ich weiß es.
Sie standen auf der Gasse; Dörig blickte zum Hauszeichen hinauf und wiegte den Kopf. Seine Augen zwinkerten, doch es war kein Schalk.
Es gibt noch Gott den Allmächtigen, sagte er dann. – Ich brauche ihn auch noch, Hubert. Nur nicht in der Verfassung! – Ein Kind! Ich habe nie eins gehabt. Vielleicht kann man ja auch gratulieren. Wie ist sie denn, die Frau?
Ich kenne sie nicht, Reinhold, sagte Hubert, und immer weniger.
7
1971. Seestücke
Im April hatte Achermann Dörigs Klage gegen «Gott den Allmächtigen» beim Europäischen Gerichtshof in Straßburg anhängig gemacht, zur Prüfung der Rechtmäßigkeit der Verwendung Seines Namens in einer staatlichen Verfassung. Daß diese Klage die Landesgrenzen überschritt, wurde dem Kläger verübelt, schließlich ging es um den Gott der Eidgenossenschaft. Aber Achermann ging es um eine nützliche Frist. Sein Mandant hatte nicht mehr viel Zeit. Und in Straßburg bestand Gewähr, daß eine Grenzfrage der Rechtsstaatlichkeit ernst genommen wurde. Für Gleichgültige blieb sie skurril, aber sie erreichte Dörigs Hauptzweck: eine Debatte loszutreten. Fritz Halder, bei dem Achermann, Asser & Schinz Staatsrecht gehört hatten, schrieb einen Artikel, der ihr das nötige Gewicht verlieh. Er stand in der «Neuen Münsterburger», und damit bekam die veröffentlichte Meinung einen Spielball, mit dem sie sich in vielen Sportarten betätigen konnte, vom Softball bis zum Catch-as-catch-can. Dabei schaute zwar kein zählbares Resultat heraus, aber doch ein ordentlicher Lärm. Dörig genoß ihn nach Noten, war aber so klug, sich über seine Motive nie direkt vernehmen zu lassen; er verwies an seinen Rechtsvertreter. So fiel es Achermann zu, in Referaten, Interviews und Talk-shows für die Rechtmäßigkeit des Anliegens zu streiten, den Volkszorn ebenso auf sich zu ziehen wie theoretische Hochachtung und dabei ein öffentlicher Intellektueller zu werden. Dörig betrachtete das Martyrium seines Anwalts mit Vergnügen und ließ ihn im Rampenlicht zappeln.
Sein Grundsatzpapier in «Glauben heute» hatte so viel Aufsehenerregt, daß ihm ein Ehrendoktorat aus Marburg drohte, wo man es als Fortsetzung des Disputs von 1529 begriff. Ob der Leib Christi beim Abendmahl wörtlich oder bildlich zu genießen sei, war damals zwischen Luther und Zwingli eine Frage um Gedeih oder Verderb der Seele gewesen. Der Streit um den Ernst des Gottesnamens war ein später Ableger davon, mit einer profanen Pointe. Denn in französischer Landessprache erschien er –
nom de dieu!
– als Fluch, sobald man ihn seines Attributs entkleidete. Gott hatte «allmächtig» zu bleiben, wenn man ihn nicht ganz entbehren wollte. Daß er sich zu keinem Kompromiß bequemte, erregte bei Dörig eine
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