Sax
vertreten. Wie heißt der Gegenanwalt?
Der Kollege, den sie nannte, war für seine Unzimperlichkeit bekannt. Die öffentliche Wirkung eines Mandats konnte Frühgott wichtiger sein als Erfolg. Und wer mit Vorurteilen gewinnbringend umgehen konnte, dem hatte der Fall etwas zu bieten.
Ich habe die Kopie seiner Klage auf Ihren Tisch gelegt, das Testament von Wirz auch, und die Unterlagen aus Berlin. Was brauchen Sie noch?
Vor allem brauche ich Ihre Vollmacht, sagte er, und Ihre Adresse, damit ich sie Ihnen zuschicken kann.
Ich unterschreibe jetzt, erklärte Sidonie.
Es wäre mir lieber, Sie studierten sie genau.
Nein, erklärte sie, ich unterzeichne blind.
So merkwürdig hatte er sich sein zweites Mandat nicht vorgestellt. Sie stand neben seinem Tisch, und er brauchte ihre Hand nicht zu führen; sie unterschrieb ohne Zögern an der richtigen Stelle, fünfmal. – Wir haben nicht über Ihr Honorar gesprochen, sagte sie, ich habe noch kein Geld. Aber wenn wir gewinnen, sind Sie ein gemachter Mann. Begleiten Sie mich nicht zur Tür, ich finde den Weg. Und suchen Sie mich nicht. Ich melde mich bestimmt.
Als sie gegangen war, hörte er ihren Schritten nach, umsonst; kein Geräusch unterbrach die Stille, die ihn umgab, als säße er in einer schalldichten Zelle. Er fürchtete, das Gehör verloren zu haben,doch als er sich auszog, hörte er seine Kleider rascheln. Er ging durch die Tür in den Korridor, und dann in die Naßzelle gleich gegenüber; auch da machte er kein Licht; wäre ich wirklich blind, dachte er, müßte es ja auch so gehen, und es ging leichter als gedacht; er duschte ausführlich, warm und kalt, und fühlte sich dabei frisch wie ein Mensch, dem es gelingen muß, die schwierigsten Verhältnisse richtigzustellen. Nur mit einem Frotteetuch bekleidet, trat er auf die Terrasse und sog die Nachtluft mit tiefen Zügen ein; die Linde bewegte ihr noch ganz volles Laub, und auch der Straßenlärm im Hintergrund rauschte regelmäßig. Als er in sein Büro zurückkam, machte er Licht. Es war nicht die geringste Unordnung darin zu bemerken, gerade, als wäre in der kurzen Zeit seiner Abwesenheit aufgeräumt worden. Seine Kleider lagen, die Hose wie frisch gebügelt, auf dem Sessel, wie er sie abgelegt hatte, und zeigten keine Spur von Verwüstung; auch an seinem Körper fand er sie nicht, ein wenig unnatürlich war nur die Tiefe seiner Gelassenheit. Doch auf dem Arbeitstisch lag, neben den Materialien zum Verfassungsrecht, ein kleiner Stoß neuer Akten in einer hellblauen Klarsichthülle, zuoberst das Blatt mit ihrer Unterschrift, und er erschrak nun doch, als er sah, was die fliehenden, doch nicht flüchtigen Züge sagten:
Sidonie Wirz Achermann.
Die drei Advokaten hatten noch eine Bleibe in der Stadt, Moritz über dem Stoffladen seines Vaters, und auch die andern hatten ihre Buden in Hochschulnähe behalten. Aber inzwischen war das Dach des «Eisernen Zeit» immer mehr ihr neuer Lebensmittelpunkt geworden, zu sehr unterschiedlichem Gebrauch. Für Achermann war das ehemalige Kinderzimmer eine Fortsetzung klösterlichen Lebens, Sidonies einmaligen Besuch ausgenommen, während man sich auf Jacques’ Seite auf regelmäßige Unruhe verlassen konnte. Die Damen, die er beriet, waren nicht von Anfang an Klientinnen, doch manche wurden es und waren in diesem Fall immer gestandenen, sogar fortgeschrittenen Alters. Auch der Tod ist ein Gelegenheitsmacher, wenn man versteht, ihm etwas von seinem Stachel zunehmen. Angesichts des Endes über das Seine noch einmal souverän verfügen zu können, ist ein besonderes Gefühl von Stärke, und Jacques war der Mann, seiner Klientel dieses Gefühl zu vermitteln. Er holte eine Dame in ihrem Haus ab, machte sich ein Bild von ihren Verhältnissen, fuhr sie in seinem Citroën DS (
Déesse
auszusprechen) vor die Tür des «Eisernen Zeit», half ihr die Treppen hinauf, führte ihr die Aussicht auf der Mansarde vor und bereitete ihr dann in seiner entzückenden Dachwohnung eigenhändig einen Tee, den man nirgends kaufen konnte; er verdanke ihn seinem Kontakt zum Dalai-Lama. Von einem Mandat war natürlich keine Rede, bis ihm die Dame von sich aus antrug, ihr beim Aufsetzen und Ausführen des Kostbarsten behilflich zu sein, was sie besaß: ihres Letzten Willens.
Nach unten war die Altersgrenze von Jacques’ Klientel offen und gewissermaßen fließend. Da blieben Verbindungen leichter im Vorfeld des Juristischen stecken, das Anwaltsgeheimnis stand nicht zur Debatte, und um die Arbeitsruhe
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