Sax
1971 beides, Glücksvogel und Unheilbringer des Anwaltkollektivs. Von Glück reden konnte man bei seiner Verbindung mit Frau Seiler, einer 85-jährigen Dame, die man eine Abenteurerin nennen durfte, obwohl sie meist bettlägerig war. Jacques hatte sie aus seinem Verhältnis zu einer Großbank mitgebracht, die sich einen Gefallen zu tun glaubte, wenn sie den Praktikanten Schinz in ihrer Abteilung «Vermächtnisse und Testamente» beschäftigte. Doch Frau Seiler war nur eine der vermögenden kinderlosen Witwen, die an dem gewinnenden jungen Mann hängenblieben, als er aus der Bank ausschied. Sie wurden seine Mitgift an die AAS. Dank Frau Seiler kamen die Advokaten zu einer Idee, für die sie bis zum Eintritt der Weltrevolution leben konnten.
Die Erblasserin nahm nur ein Menschenrecht wahr, wenn sie über dreißig Millionen nach Gusto verfügte. Da sie mit ihrer Verwandtschaft, ihrem Leben, vielleicht sogar mit ihrem Geld eine noch größere Rechnung offen hatte, gönnte sie sich mit Jacques eine
folie à deux.
Wer aller Welt ein Schnippchen schlagen wollte, hatte in ihm einen kongenialen Ratgeber. Am Ende betraute sie die AAS mit der Einrichtung einer Stiftung, die den Zweck hatte, «die freie Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit im Sinne eines umfassenden Humanismus» zu fördern, was der Auslegungeinen denkbar weiten Spielraum ließ. Einstweilen besaßen die Stiftungsräte – unter dem Vorsitz Frau Seilers – Vollmacht, diesen Zweck quasi treuhänderisch für ihre eigenen Persönlichkeiten auszuprobieren, und Frau Seiler hatte Jacques mit der Geschäftsführung betraut. Daß man damit den Bock zum Gärtner gemacht hatte, störte sie nicht, im Gegenteil; er verkörperte einen umfassenden Humanismus nach ihren Vorstellungen. Und während er andere Damen lieber zu Bett brachte, half er dieser heraus und nahm sie auf manchen Ausflug mit, bei dem er sich als aufmerksamer Sohn verhielt. Jacques brachte viele Abende bei der alten Dame zu und las ihr anzügliche Geschichten vor, etwa von Maupassant oder der Colette, und zwar im Original, denn Französisch war die Sprache seiner Mutter und für Frau Seiler ein Gegenstand kultivierten Entzückens.
Die AAS hatte sich ein Statut gegeben, das die Gesellschafter auf Gedeih und Verderb zusammenband. Aber nachdem Jacques für «Gedeih» gesorgt hatte, machte er bald auch dem Verderb alle Ehre – und traf dabei seinen Vater so empfindlich, daß er den Sohn zu enterben vorhatte. Einzelheiten hätte Hubert nicht weitersagen dürfen. Aber auf der «Rahel» verflüssigte sich das Anwaltsgeheimnis.
Auch Jacques hatte sein Piratenstück auf dem Wasser vollbracht. Er hatte Mara, die Frau seines Vaters, mit zwei ihrer Freundinnen zu einem Segeltörn auf dem Bodensee eingeladen; Thomas kehrte am nächsten Tag aus Mailand zurück, man wollte gemeinsam einen Termin in St. Gallen wahrnehmen. Mara logierte im «Bad Horn», aber dort war sie nie gesichtet worden, als der Gatte etwas früher als erwartet eintraf. Dafür fehlte sein Boot im nahen Hafen. Ein Unglück ahnend, alarmierte er die Rettung in Rorschach, und bei der Suche auf dem See begegnete den Männern auf einer schaukelnden Jolle das Unglück in Gestalt eines selbstvergessenen Paars. In Gegenwart von Zeugen beherrschte sich Thomas Schinz, doch blieb es nicht dabei, als er Mara an Land gezogen hatte. Diesmal war es die Polizei, die sie auf einem abgelegenen Parkplatz auflas, allein,weinend, mit zerfetztem Kleid, am ganzen Leib mit blauen Flecken bedeckt. Von der Wache, wo der Sachverhalt zu Protokoll genommen wurde, fuhr Mara gleich zu ihren Eltern nach Wien weiter und teilte Thomas Schinz mit, sie werde sein Haus nur noch zum Abholen ihrer Sachen betreten und in Begleitung eines Anwalts.
Eheliche Gewalt oder ein außerehelicher Skandal: da war nur noch die Frage, was den Ruf gründlicher ruinierte. Vater Schinz zahlte für beides, erst durch ein Schweige- und Schmerzensgeld, dann durch eine kostspielige Trennung. Nun aber hielt er sich an Jacques, der sich nicht mehr als seinen Sohn betrachten möge. Um so besser, ließ dieser verbreiten, er habe sich gerade mit Mara verlobt.
Marybel nimmt das nicht ernst, sagte Reinhold, zum Glück ist sie Kummer gewohnt. Bisher mußte es Jacques seinem Vater zeigen, jetzt beginnt er ihm zu gleichen. Söhne werden wie die Väter. Erst wollen sie ihre Frauen, am Ende übernehmen sie ihre Attitüden.
Mein Vater war schwach, sagte Achermann.
Das muß kein Unglück sein. Was wolltest du
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