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Sax

Sax

Titel: Sax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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werden?
    Das wußte ich nicht. Etwas Geistliches.
    Bei meinen Eltern war nichts, kein Hochschein von Religion. Und was passiert? Ich mache einem Herrn den Prozeß, an den zu glauben ein Witz ist – und diesen Witz treibe ich bis zum Gehtnichtmehr. Pflanzen sind heliotrop. Sind Menschen theotrop, Hubert, selbst wenn sie sich dafür verbiegen müssen? Jetzt habt ihr euch den alten Schinz zum Todfeind gemacht. Das ist nicht gut.
    Auf Moritz setzt er immer noch, sagte Hubert.
    Zum Glück versteht Moritz etwas von Dialektik. Er weiß, was es heißt, ein Doppelagent zu sein. Marybel habt ihr auch noch. Gestern war sie zum Baden auf dem Boot. Mit Vera. Sie schwammen, und dann legten sie sich aufs Deck. Nackt! Marybel fand wohl, ich müsse noch einmal eine Frau sehen. Sogar zwei. Und ich sage dir: eine, die es schafft, daß sich Vera vor einem Mann auszieht, die hält auch euren Verein über Wasser.
    Als Thomas Schinz noch Marybels Liebhaber war, hatte er von Moritz Asser wie von einem Nachfolger gesprochen; sein Sohn blieb immer nur «Ach, Jacques», als wäre «Ach» sein Zuname. Er hatte ihm schon als Kind entweder nichts zugetraut oder das Schlimmste, und Jacques hatte ihm dieses «Ach» heimgezahlt und noch ein «Wehe» darauf gepackt. Davon hatte Marybel nichts geahnt, als sie zu Jacques abgefallen war; jetzt kam auch für sie das Wehe nach. Aber ein Sohn, der seinen Vater mit dem Messer sucht, bleibt ein verwundetes Kind, das man hüten muß. Marybels Liebe wurde erwachsen. Sie hatte ein Amt. Jacques selbst hatte es ihr gegeben, nachdem er in ihren Armen so gut wie gestorben war.
    Es gab eine Stelle, an der Reinhold immer wieder den Motor anwerfen mußte, sonst wäre die «Rahel» in den Binsen gestrandet. Wenn sie sich in Sichtweite von C. G. Jungs Turm, ins Gespräch vertieft, treiben ließen, rückte er unvermerkt näher, als verfüge er über magnetische Kräfte. Auf der Gegenseite des Obersees lagerte der Buchberg, ein finsterer Rücken fast ohne Spuren menschlicher Besiedlung, dessen kleine Buchten Dörig abends zum Ankern aufsuchte. Im Morgenlicht leuchtete die bewaldete Höhe wie ein heiliger Hain, aber schon um die Mittagszeit verdunkelte sie sich wieder und warf einen immer längeren Schatten auf das Wasser, aus dem die «Rahel» wegstrebte, zurück in die Fülle des Lichts. Hier schwebte sie während der heißen Stunden des Tages, die Reinhold in der Kajüte verbrachte, mit Dösen und Rätsellösen, oder, wenn er Gesellschaft hatte, auf dem Deck unter dem Sonnendach – bis der Kiel mit leisem Knirschen meldete, daß er auf Grund gelaufen war. Und wieder sahen sie sich Auge in Auge mit dem Turm. Man brauchte den Stachel, um die «Rahel» in tieferes Wasser zu staken, und Schwärme erschrockener Wasservögel erhoben sich aus dem Röhricht, wenn Dörig die Turbinen anwarf, die für das Seelein zu mächtig waren. Sie schafften wieder Abstand – wenn auch nicht so viel, daß das Boot die Schattengrenze des Buchbergs überschritt.
    Typisch Rahel, sagte er. – Sie fühlte sich auch immer zu diesem Schamanen hingezogen. Dabei war er ein Vatermörder wie Jacques,trieb Unzucht mit Abhängigen, schneiderte eine Psychoanalyse für Nazis und lieferte ihnen später den Freispruch nach, das kollektive Unbewußte.
    Du tust ihm unrecht, sagte Hubert.
    Hoffentlich ausreichend, sagte Reinhold grimmig. – Warum müssen Männer so beschissen sein, und die Frauen lieben sie noch dafür.
    Natürlich sprach er von Jacques.
    Marybel kriegt er nicht, auch wenn er meint, er hat sie schon. Er hat nicht jede gekriegt, die er wollte. Sidonie nicht, Frau Schieß auch nicht.
    Wie kommst du auf Frau Schieß? fragte Hubert.
    Schieß hat mir’s selbst erzählt, sagte Reinhold.
    Hubert staunte noch mehr. Schieß war ein Volkstribun, den seine wachsende Anhängerschaft schlicht «den Eidgenossen» nannte, ein milliardenschwerer Großindustrieller, der nationalkonservative Ressentiments mit dem Pathos freien Unternehmertums zusammenrührte. Die Mischung übte auf kleine Leute aller Lager eine berauschende Wirkung aus. Er hatte die ehemalige Bauernpartei zur «vaterländischen» angereichert, unter beträchtlichem Einsatz von Eigenmitteln. Inzwischen war sie die größte des Landes geworden, doch wiederum noch nicht so stark, daß Schieß zu fürchten brauchte, er werde zu bald in die Verantwortung genommen.
    Ich kann mit ihm reden, sagte Dörig, und was Kunst betrifft, haben wir vielleicht keinen Geschmack, aber den gleichen. Er sammelt

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