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Sax

Sax

Titel: Sax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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das Irreguläre der Grammatik in Grenzen hielt. Außerdem fürchtete er nicht, diese Sprache je sprechen zu müssen. Sein Problem waren moderne Fremdsprachen, denn da gab es kaum eine Regel ohne Ausnahme. Aber in den größten Konflikt geriet er bei literarischen Lektüren. Kaum ein Text, von dem er Rechenschaft geben sollte, schien ihm derselben würdig. Kein Motiv fand er zwingend, jeden Satz beliebig, und die Ausrede, daß etwas bei aller logischen Unart oder gar ihretwegen auch schön oder gefühlsintensiv sein könne, revoltierte ihn geradezu. In seinen Augen entbehrte der Schulstoff der Eindeutigkeit. Und von ihm eine widersprüchliche Behandlung zu erwarten erschien ihm als Bosheit, ja als Nötigung zur Lüge.
    Sidonie hatte ihn zur Abklärung von der Schule genommen. Doch Salomon erkenne für sich keinerlei Therapiebedarf. Er sei in Ordnung, wenn man nur endlich den Versuch lassen wollte, diese Ordnung zu stören. So verbringe er Tag und Nacht in seinem Dachstudio und verlasse es kaum noch für die Mahlzeiten. Am Dienstag gehe er zum Judo, seiner einzigen körperlichen Übung. Die Samstagnachmittage verbringe er im Schachclub, wo er keinen ernsthaften Gegner mehr habe. Aber statt sich an Turnieren zu beteiligen, spiele er gegen den Rechner und arbeite daran, ihn zu verbessern. In seinem Studio komponiere er, das könne man aus seinen Bewegungen schließen, aber außer ihm selbst habe noch niemand seine Musik gehört.
    Ich möchte Sie bitten, eine gewisse Zeit hier zu wohnen und ein Auge auf ihn zu haben. Vielleicht sehen Sie mehr.
    Er weiß ja nicht, daß ich sein Vater bin.
    Er hat ihn bisher nicht vermißt.
    Hubert Achermann hatte in der Gastwohnung gelebt; er hatte an Essen zu dritt teilgenommen, als Besucher, der Salomon als Jurist aus der Stadt vorgestellt worden war, der schon für Mama gearbeitet habe. Die Erwachsenen duzten das Kind; unter sich blieben sie beim Sie. Sidonies Regie blieb höflich, aber niemand konnte auf den Gedanken kommen, die gestellte Familie könnte eine wirkliche sein. Gespräche schien Salomon nicht zu fürchten, er sah nur nicht, was es zu reden gab, wenn man das Nötige mitgeteilt hatte. Er sprach seine Wünsche aus und nahm zur Kenntnis, wenn sie nicht erfüllt werden konnten. Es schien ihn eher zu erleichtern, wenn er nicht verstanden wurde, denn das enthob ihn der sinnlosen Mühe, sich verständlich zu machen. Nur in seiner Raumstation sah man ihn lächeln, zu niemandem. Und doch verriet ihn die Augenpartie als Huberts Sohn; das linke Auge saß bereits etwas schief im Gesicht. Und am Weiher erlebte Hubert eine Überraschung.
    Hier waren Sie schon, an meinem fünften Geburtstag. Sie kamen mit Mama vorbei.
    Daran erinnerst du dich? fragte Achermann. – Als Salomon nicht antwortete, fragte er hilflos: Magst du Sterne?
    Den Planetenweg mag ich nicht, antwortete Salomon.
    In meinem Büro arbeitete früher ein Astronom. Magst du mich mal besuchen?
    Wozu?
    Weil ich mich freuen würde, sagte Achermann.
    Gibt es eine Sternwarte?
    Leider nicht.
    Der Mars ist der einzige Planet, der für Besiedlung in Frage kommt.
    Möchtest du auf dem Mars wohnen?
    Es wird nur für ein paar hundert reichen, wenn wir die Erde verlassen.
    Wozu sollen wir die Erde verlassen?
    Weil sie in zweiundvierzig Jahren unbewohnbar geworden ist.
    Wo hast du diese Zahl her? fragte Achermann.
    Das kann man ausrechnen.
    Wo sie standen, war das Ufer befestigt, und ein Steg führte hinaus, dessen Stützen in einem Steinbett verschwanden. Salomon hob einen Kiesel auf und ließ ihn über das Wasser schnellen. Es reichte für drei Sprünge, bevor er ins Schilf schoß; einige Halme knickten. Er wiederholte das Spiel mit großer Treffsicherheit und hatte bald eine Bresche geschlagen. Auch Achermann nahm einen Stein auf, doch sein Geschoß versank schon beim ersten Aufschlag auf die Oberfläche.
    Am nächsten Morgen um neun klopfte er an die Tür von Sidonies Sekretariat. Das «Kämmerlein» nahm die Stöpsel aus dem Ohr und meldete ihn. Sidonie saß vor einem alten Sekretär, vor sich ein blaues Schulheft. Weitere stapelten sich auf der Filzplatte.
    Das ist Ihr Arbeitszimmer, sagte er.
    Wirz nannte es Studierzimmer, sagte sie. Es war sein Allerheiligstes.
    Es war ein mittelgroßer getäfelter Raum; die längste Wand war von Vitrinen besetzt, in der Pokale dämmerten, Kränze, Urkunden, ein zweiter Glasschrank war mit einer Mineraliensammlung belegt. An der Hinterwand, beidseits der Tür, je ein Bücherschrank, im

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