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Sax

Sax

Titel: Sax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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dreißigjähriger Mann, der weiße Handschuhe trug, sich gewählt ausdrückte und zu erkennen gab, daß er in Sidonies Projekt eine Vertrauensstellung bekleidete. Sie fuhren durch eine frisch gepflanzte Platanenallee vor, am Eingang des Riegelbaus stand man bereits zum Empfang bereit. Sidonie, tiefgebräunt und im schwarzen Kostüm eher streng als festlich, bot ihm die Wange zum Willkommen; dann stellte sie ihn ihren Leuten vor, mit humoristischen Hoftiteln, keineswegs formlos: Bob, früher Robert Wittwer, Projektmanager mit Menjou-Bärtchen, wurde als Kanzler angesprochen, Matthias, ein Ungar, der wie ein Tenniscrack aussah, als Hofmeister, denn er war für Salomons Privatunterricht zuständig; als der Fahrer vom Parkplatz zurückkam, wurde er Oliver und Truchseß genannt. Später würden noch ein Marschall und ein Schenk dazukommen, die Hauptperson aber war Matuschka oder das «Kämmerchen», da es zu «Kämmerer» keine passende weibliche Form gebe und Kammerfrau nicht passen würde. Sie war eine resolut wirkende Person mächtigen Umfangs mit kurzgeschnittenem Haar und durchdringend blauen Augen, führte die Buchhaltung, disponierte über das Budget und dirigierte die Verwaltung. Salomon sei gerade beschäftigt. Ob sich Dr. Achermann erst erfrischen wolle? Ein erster Augenschein des Geländes gefällig? Der Koffer werde inzwischen auf sein Zimmer gebracht.
    Auf dem «Gugger» wurde noch immer gesägt und gehämmert, aber aus der Scheune war eine Kongreßhalle geworden, dahinter erhob sich der kompromißlose Betonbau eines Gästehauses. Der verkleinerte Stall diente nur noch für Reitpferde; sein bisheriges Volumen war durch Personalwohnungen belegt und durch einen modernen Anbau ergänzt, an dessen Ende ebenerdige Suiten für Vorzugsgäste lagen, Wohneinheiten mit ummauerten Steingärten, die kunstvoll verschränkt waren. Das ehemalige Waschhaus war jetzt ein Atelier für Gastkünstler, während das Rebhaus, ein kleiner Rokokobau mit Seeblick, auf einen Gastdichter wartete. Nur deralte Bauernhof, der großzügige Fachwerkbau, wirkte unverändert und imposanter denn je.
    Wieder spazierte man hügelwärts; die nächste Umgebung war jetzt als parkähnliche Landschaft gestaltet. Den Baumgarten gab es nicht mehr, der Weiher, ohne Spielplatz, war mit bunten Karpfen besetzt. Der Flurweg führte durch immer noch bestellte, doch verpachtete Felder, alle in bester Aussichtslage. Sidonie äußerte sich zur Raumplanung der Gemeinde, an der sie in einer Kommission beteiligt war, und entwickelte das Konzept einer neuen Siedlung auf ihrem Boden, generationenfreundlich und bezahlbar. Viele wünschten sie sich als Gemeindepräsidentin, und eigentlich war das Amt schon keine Frage des Wenn mehr, sondern des Wann. Auch ein Streifen Wald gehörte zum «Gugger», aber den besuche man morgen; zuerst mußte Hubert ihren Planetenweg sehen. Schon stand der Bentley am Eingang der Platanenallee bereit, und der Truchseß fuhr das Paar durch einige Spitzkehren ins Dorf zurück.
    Der ehemalige Weinberg «Goldhalde», mit Terrassenhäusern überbaut, war schon für die Eltern Wirz der Absprung in den Wohlstand gewesen. Aber die Schlucht, durch welche rüstige Fußgänger vom Bahnhof Überseen in zwanzig Minuten zur Höhe des «Gugger» gelangten, war ein Stück unberührte Natur. Schon der junge Gottfried Keller war für Malstudien hergekommen, und hier hatte Sidonie jetzt einen Planetenweg anlegen lassen, in Gestalt schwarzer Holzstelen. Sie markierten die Abstände der Himmelskörper, am Eingang der Schlucht beginnend mit Pluto, einem in der Röhre schwebenden Stäubchen, das nur durch ein angehängtes Vergrößerungsglas überhaupt wahrzunehmen war. Sidonie schritt auf dem steilen Pfad so kräftig aus, daß sich Achermanns Brust beim Versuch, mitzukommen, unangenehm zusammenzog. Nicht einmal in die Murmel der blauen Erde durfte er sich lange vertiefen, er mußte die Sonne sehen: und da ging sie endlich zwischen den Zweigen auf, ein Goldball auf hölzernem Schaft, und Sidonies Gesicht verklärte sich in seinem Widerschein.
    Während er nach Luft rang, hatte sie auch noch die nötige Legende zu ihrem Projekt geliefert. Sie «erfand» ein Institut, das die wirklichen «Akteure» zusammenzuführen versprach, Leute der zweiten und dritten Reihe, doch intellektuell ersten Ranges und mit dem nötigen Durchblick. Man nehme sie kaum wahr, da sie kein Rampenlicht auf sich zögen. Aber da sie auch anderen nicht im Licht stünden,
blieben
sie und

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