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Sax

Sax

Titel: Sax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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sich noch überdies auf die zärtlichste Art der Welt unsere Schwestern nannten, so durften sie, aus mehr denn einer Ursache, in ihren Anliegen nicht leicht eine abschlägige Antwort besorgen, denn wer hätte so hübschen und gefälligenMädchen widerstehen können? Einer unsrer jungen Seeoffiziere rühmte sich, daß er bei einer Verheiratung zugegen gewesen und die dabei vorgefallenen Zeremonien mit angesehen habe; als wir ihn aber um die Beschreibung derselben ersuchten, gestand er, daß sie zwar sehr sonderbar gewesen, doch könne er sich keiner insbesondre erinnern, wisse auch nicht, wie er sie erzählen solle.
    Die Indianer wußten nicht, daß die Wirkung unseres Gewehrs nur bis auf gewisse Entfernungen reicht, und da es eben nicht ratsam war, sie das Geheimnis zu lehren, so stellten wir uns gemeiniglich, als könnten wir die Vögel, auf die sie zeigten, nicht gewahr werden, bis wir unter diesem Vorwand so nahe heran gekommen, daß sie zu erreichen waren. Der erste Schuß machte immer großen Schrecken; einige fielen darüber platt zur Erde oder rannten ungefähr zwanzig Schritt zurück, bis wir ihnen durch freundliches Zureden die Furcht nahmen. Die verwundeten Indianer krochen auf allen Vieren ins Gebüsch, und sobald das grobe Geschütz zu spielen anfing, lief der ganze Trupp eilfertigst davon. Nur etliche wenige hatten das Herz, hinter einem Sandhügel wiederum Posto zu fassen; sie konnten aber auch da nicht lange standhalten, weil man tapfer nach ihnen schoß, so oft nur ein Kopf über dem Sandhügel zum Vorschein kam.
    Der Anschein berechtigte die Einwohner allerdings unsere Leute für ungebetne Gäste und für den angreifenden Teil zu halten, ja was mehr als das alles ist, sie hatten Ursache, für ihre Freiheit besorgt zu sein. Die Indianer versammelten sich in solcher Anzahl um uns her, daß Herr P., zur Sicherung der Kleider, für nötig fand, Linien in den Sand zu ziehen, die keiner von den Wilden überschreiten sollte. Unter dem ganzen Haufen war nur einer, der über diese Anstalt mehr Verwunderung als die übrigen bezeugte, und eben dieser fing nach einer Weile sehr launig an, mit einem Stock einen Kreis um sich herumzuziehen und unter allerhand possierlichen Grimassen den Anwesenden zu verstehen zu geben, daß sie auch ihm vom Leibe bleiben sollten. Bei der sonst gewöhnlichen Ernsthaftigkeit der Einwohner war dieser humoröse Einfall sonderbar und merkwürdig genug!
    Die Sätze, die Fanny Moser von ihrem toten Freund empfangen haben wollte, atmeten einen fast betäubenden Irrsinn aus. Und alsHubert Achermann die Augen schloß, wagte er endlich zu wissen, was ihm fehlte. Eine unendliche Umarmung. Er hatte große Sehnsucht und versuchte sich vorzustellen, wonach. Und wieder ließ er sich sinken, in einen Schlaf, bei dem sein letzter Gedanke der Wunsch war, nicht mehr erwachen zu müssen.

15
1994. Adriana
    Sidonie war im Sommer 1993 als Referentin in China unterwegs und machte sich vor Ort über das Projekt des Dreischluchtendammes kundig, in das Schieß beträchtlich investiert hatte. Nachdem das Ende der Geschichte ausgerufen war, konnte man sich der lokalen Verbesserung widmen und sicher sein, daß die heilsamen Kräfte des Marktes auch abgelegene Winkel des Planeten erreichten. Achermann nahm sein Mandat als Ehemann, wenn Sidonie verreiste, ohne tägliche Anfechtung wahr. Es wirkte als Arbeitstherapie gegen Anfälle grundloser Verzweiflung, die sich zu alterstypischen Körpersymptomen verkleinert hatten und bei Bedarf von Professor Tschirky behandelt wurden: hie und da eine kleine Atemnot, eine vorübergehende Störung des Herzrhythmus, auffällige Schwankungen des Körpergewichts. Wenn er die Beobachtung unterließ, erübrigte sich meist auch die Behandlung. Er führte ein unregelmäßiges Leben, aß an einem Tag – etwa bei einem Empfang oder Bankett im «Gugger» – reichlich, dann wieder tagelang fast nichts. Ähnlich verhielt es sich mit dem Schlaf. Sein Bett schlug er abwechselnd im Dachstock des Hauses «zum Eisernen Zeit» oder in der Steingarten-Suite auf. Am liebsten nächtigte er im Kuppelraum, auch wenn sein Zustand eher Dämmern als Schlafen zu nennen war. Aber so weit seine Seele schweifen mochte: sie schien dabei auch zu sich selbst zu kommen. Gelassenheit, Verlassenheit – plötzlich glaubte er, Konflikten gewachsen zu sein, die ihn früher zerstört hätten. Jetzt verbanden sie sich mit einem Glückwunsch an andere, auch wenn er sich, wie selbstverständlich, davonausschloß.

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