Sax
junger Mann noch zur Waffe gegriffen habe, enttäuscht abgewandt und am Ende die ganze politische Klasse mit Feuer und Wasser vertilgen wollen. Was er gesucht habe, wäre gerade die politische Heimat gewesen, die ihm die Vaterländische Partei heute zu bieten hätte, nur sei er dafür leider hundert Jahre zu früh gestorben.
Das Hauptmenü bestand aus Rippchen und Sauerkraut, dazu wurde ein «Staatsschreiberwein» geschenkt. Moritz hatte die Vorstellung vor ihrem Ende Richtung Flughafen verlassen. Hubert nahm bei Tövet Platz. Die nahe Wiese summte, die Bäume prangten in goldenem Grün, doch er sah nur die fatale Migräne-Festung im Auge, und wie angeflogen ging ihm immer derselbe Vers durchden Kopf: «Wie ist doch alles Werdende so krank.» Als Tövet die Hand auf seinen Arm legte, sagte er halblaut: Ja, fertig. Plötzlich saß er neben Melanie Walder, und als er sich vorstellen wollte, sagte sie: Ich kenne Sie.
Plötzlich schien ihm die Gesellschaft dieser kranken Frau die erträglichste. Sie mußte schön gewesen sein; jetzt sah sie viel älter aus als ihr Mann, und ihr porzellanblasses Gesicht wirkte durchsichtig. Sie erzählte, daß sie sich zur Zeit die Bedienung des Computers beibringe. Achermann spürte ihr Ehrgefühl. Ob sie morgen noch da sei oder nicht, heute wolle sie vor dem neuen Rechner bestehen. Einer Bemerkung hatte Achermann entnommen, daß sie Nachbarskinder gewesen waren und geheiratet hatten, während er studierte und sie als Sekretärin arbeitete. In einem plötzlichen Impuls legte er seine Hand auf die ihre. Sie weinte nicht.
Auf der Fahrt in die Stadt wich der Druck aus seinem Schädel; dafür überfiel ihn eine solche Müdigkeit, daß er versucht war, auf den nächstbesten Parkplatz zu fahren. Er legte die Kassette mit Martial Solals «Longitude» ein und ließ sich von den Dissonanzen des Pianisten wieder notdürftig flottmachen. Heil erreichte er den Mietplatz in der Parkgarage, doch als er den Motor abgestellt hatte, ließ er sich auf das Steuer sinken und fiel augenblicklich in tiefen Schlaf. Nach unbestimmter Zeit pochte es an die Scheibe. Neben dem Wagen stand ein Sicherheitsbeamter.
Sind Sie o.k.? fragte der junge Mann.
Achermann ließ die Scheibe nieder.
Nur einsam, sagte er.
Der Uniformierte sah ihn prüfend an. – Aber … sonst fehlt Ihnen nichts?
Wieviel Uhr ist es denn?
Gleich 17 Uhr, sagte der Mann, trat etwas zurück, als Achermann ausstieg und den Wagen verriegelte, und sah ihm besorgt nach, als er wegging.
Sonntag abend: das Haus «zum Eisernen Zeit» war menschenleer.Jacques pflegte mit seinen Familien übers Wochenende auszufliegen; auch Marybel war nicht da. Aufatmend öffnete Hubert die Tür zur Sternwarte und stieg die wenigen Schritte zur Kuppel hinauf. Sie schwebte, wie eine Raumkapsel, immer gleich warm oder kühl im gedämpften Licht der vier Wandscheinwerfer, die sich einzeln zum Leselicht verstärken ließen. Er holte Weißwein aus dem Kühlschrank, öffnete den Safe und begann das letzte von Horners Diktaten zu lesen.
V. Die Linie im Sand
Wir hatten uns bis dahin mit der angenehmen Hoffnung geschmeichelt, daß wir doch endlich einen kleinen Winkel der Erde ausfindig gemacht, wo eine ganze Nation einen Grad von Zivilisation zu erreichen und dabei doch eine gewisse frugale Gleichheit unter sich zu erhalten gewußt habe. Selbst mit uns, die wir Fremdlinge in ihrem Lande waren, gingen sie aufs liebreichste um. Wenn wir aus den Booten ans Land oder vom Ufer wieder in die Boote steigen wollten, erboten sie sich jederzeit uns auf dem Rücken hinüberzubringen, damit wir uns die Füße nicht naß machen sollten. Die guten Leute folgen hier dem Trieb der Natur ganz ungehindert. Insofern unterm Monde nirgends etwas Vollkommnes, Glückseligkeit immer nur ein relativer Begriff ist, insofern dürften, im ganzen genommen, schwerlich mehrere Völker der Erde sich einer so erwünschten Lage rühmen können!
Für ein empfindsames Gemüt ist aber das ein wahrhaft tröstlicher Gedanke, daß Menschenliebe dem Menschen natürlich sei und daß die wilden Begriffe von Mißtrauen, Bosheit und Rachsucht nur Folgen einer allmählichen Verderbnis der Sitten sind. Sie frugen gemeiniglich wie wir hießen, nahmen uns an Kindesstatt an und machten uns mit ihren Verwandten bekannt, die auf diese Weise auch die unsrigen wurden. Außerdem daß sie gemeiniglich auf eine oder die andere Art hübsch waren, ging auch ihr ganzes Dichten und Trachten dahin, uns zu gefallen, und da sie
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