Saxnot stirbt nie - Odo und Lupus Kommissare Karls des Grossen - Zweiter Roman
so?“
Tullius bejahte vorsichtig.
„Ihr habt also in der Kirche des Herrn etwas dargestellt, über das ihr nicht reden dürft“, fuhr Lupus fort. „Ist es euch aber untersagt, es noch einmal zu tun? Die Darstellung zu wiederholen?“
„Ich nicht verstehen“, stammelte Tullius.
„Du verstehst mich sehr gut“, sagte ich, wobei ich ihn fest und durchdringend ansah. „Was immer ihr einübt an Kunststücken, Späßen und Tricks … ihr wiederholt es. Je öfter, desto besser gelingt es euch. Zeigt uns noch einmal diesen Auftritt! Wir wollen keinen Bericht und keine Erklärung dazu. Nun? Sind etwa nicht nur eure Zungen, sondern auch die anderen Teile des Körpers gelähmt? Antworte!“
„Andere Teile von Körper sprechen … verraten alles“, stieß der Unglückliche hervor.
„Das könnte wohl sein. Aber diese Sprache ist euch erlaubt. Benutzt sie also! Tut ihr es nicht, so prellt ihr euch um euern Lohn. Wir werden eure Mancusen und Solidi an uns nehmen und dem Herrn König bringen. Wenn er uns fragt, woher sie stammen, werden wir sagen, von Leuten, die vorgaben, Gaukler zu sein. Doch seien sie außerstande gewesen, uns mit der Geschicklichkeit ihrer Glieder zu unterhalten und uns mit der Sprache ihrer Körper eine Geschichte zu erzählen. Hätten sie diese Kunst beherrscht, so würden wir ihnen geglaubt haben. So aber mussten wir annehmen, dass sie uns täuschten.“
Tullius hatte verstanden. Es gab keinen Ausweg, wenn er nicht auf das Gold verzichten wollte. Er sagte, er wolle mit seinen Leuten reden. Ein aufgeregtes Geschnatter erhob sich. Ich kehrte an Odos Seite zurück und wartete.
Nach kurzer Zeit trat Tullius vor uns hin und erklärte, dass er und seine Gefährten bereit seinen, einen pantomimus zu zeigen, wie er in den Städten des Südens beliebt sei, ganz ohne Worte und nur von Schellen, Klappern und Trommeln begleitet. Ich ermahnte ihn nochmals, nichts anderes darzubieten als in der Kirche des gräflichen Gutes.
Der Gaukler versprach es und bat um Geduld für einige Vorbereitungen. Dazu verlangte er eine Kiste aus Holz oder Flechtwerk, die ein Knecht auf Bozos Wink herbeitrug. Die Kiste wurde wie ein offener Schrein auf einen Tisch gestellt, über den Tullius zuvor ein Tuch geworfen hatte. Er langte in den Kupferkessel, brachte ein paar ausgekochte Knochen zum Vorschein und legte sie in die Kiste. Dann verbeugte er sich und zog sich zurück. Einige seiner Gefährten hatten sich schon an der Tür versammelt. Er verschwand mit ihnen nach draußen.
Die geheimnisvollen Zurichtungen der Gaukler hatten die allgemeine Neugier geweckt. Alles, was zum Haus gehörte, drängte heran, um nichts zu verpassen. Eine gewisse Feierlichkeit verbreitete sich, es wurde geflüstert und mit Anstand gehustet. Alle starrten auf den Tisch mit der Kiste. Was damit gemeint war, konnte nicht zweifelhaft sein. Es handelte sich um einen Altar, auf den ein Reliquienschrein gestellt war.
„Man müsste ein paar Weihrauchkörner verbrennen, damit es echt wirkt“, bemerkte mit wichtiger Miene Rouhfaz, unser kahlköpfiger Diener, der seinen Namen dem Weihrauchfass verdankte, das er früher, als er noch Mönch war, zur Ehre Gottes geschwenkt hatte. „Hoffentlich haben sie hier welche.“
„Vorsicht, Meister Rouhfaz!“, spottete Odo. „Du willst doch nicht etwa einen gekochten Ochsen beweihräuchern.“
Gekränkt verzog Rouhfaz das Gesicht.
„Ich finde auch, es wird besser sein, wenn es nicht allzu echt wirkt“, sagte ich. „Vergessen wir nicht, dass es ein Possenspiel ist.“
Endlich wurde an der Tür eine Trommel geschlagen.
Man musste zweimal hinsehen, um diejenigen wiederzuerkennen, die gerade hinaus gegangen waren. Schon vorher waren sie ärmlich und abgerissen, jetzt aber hatten sie sich in die Elendesten der Elenden verwandelt. Ein Zug von Siechen und Krüppeln schleppte sich herein, im schummrigen, flackernden Licht des Herdfeuers und der Kienspäne nicht zu unterscheiden von ähnlichen, Abscheu und Mitleid erregenden Gruppen, denen man auf Straßen und Märkten begegnet. Am ehesten erkannte man noch Tullius wieder, der den Zug anführte. Vornüber gebeugt, die dünnen Arme angewinkelt, spielte er wie vorher den Schüttler. Hinter ihm trippelte, schlurfte, hinkte und kroch es herein, auf einem Bein oder auf allen vieren, auf einen Stock oder die Schultern des Nachbarn gestützt.
Da tastete sich ein Blinder mit verbundenen Augen vorwärts. Ein Krummer hüpfte mit grotesken Schlenkerbewegungen des Kopfes
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