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Saxnot stirbt nie - Odo und Lupus Kommissare Karls des Grossen - Zweiter Roman

Saxnot stirbt nie - Odo und Lupus Kommissare Karls des Grossen - Zweiter Roman

Titel: Saxnot stirbt nie - Odo und Lupus Kommissare Karls des Grossen - Zweiter Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gordian Robert
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und der Arme. Eine gedunsene Fratze war tief, ohne Hals in die Schulter gedrückt. Das zierliche Mädchen grinste wie eine Idiotin. Ein Junge zog einen mit Lumpen dick umwickelten Fuß nach, schwer und verklumpt, wie eine Tonne. Und der Zwerg hatte nun einen spitzen Höcker, und sein Gesicht trug er auf dem Rücken. Ein paar Kinder, die zuletzt hereinkamen, brachten auf Lärminstrumenten dumpfes Getöse hervor. Unter Heulen, Seufzen und Greinen bewegte sich der Zug durch den Raum.
    Die sächsischen Dörfler starrten entsetzt. Knechte wichen zurück, Mägde schrien. Der Anblick geballten Elends war ihnen ebenso wenig vertraut wie die Kunst der vollkommenen Täuschung.
    „Zum Teufel, die beherrschen ihr Handwerk!“, knurrte selbst Odo anerkennend. „Man fragt sich, wie sie das wieder loswerden wollen.“
    In der Tat, das fragten wir uns und prompt erhielten wir die Antwort.
    Die Siechen und Krüppel näherten sich dem Altar. Als Erster fiel Tullius auf die Knie. Mit anscheinend letzter Kraft streckte er seinen zitternden Arm nach dem Schrein aus. Seine Fingerspitzen berührten ihn und ein Zucken ging durch seinen ganzen Körper. Der kleine Trommler schlug mit aller Kraft auf das Fell, denn Tullius riss jetzt die Augen weit auf, als erblickte er etwas Wunderbares. Welle auf Welle schien durch seinen Leib zu laufen. Doch nach und nach hörte das Schütteln und Zucken auf, alle Glieder verharrten schließlich in Ruhe. Das Froschmaul verzog sich zu einem breiten Grinsen, die höchste Seligkeit schien erreicht zu sein. Tullius sprang auf die Beine, verneigte sich tief vor dem Altar und mit einer graziösen Bewegung wandte er sich uns zu. Doch gleich fiel ihm ein, dass es nicht angebracht war, nach Beifall zu haschen. Schnell trat er beiseite.
    Nun folgte ein „Wunder“ nach dem anderen. Das Ritual war immer das gleiche: die flehend ausgestreckten Arme, das Berühren des Schreins mal mit den Händen, mal mit dem Mund, die in Verzückung zerfließende Miene, Erleichterungsseufzer und Jubelschreie. Dann riss sich der Blinde die Augenbinde herunter, der Krumme straffte sich und stolzierte aufrecht umher, die gedunsene Fratze war plötzlich das glatte Gesicht eines hübschen Jünglings und es war ihm sogar ein Hals gewachsen. Die Idiotin wurde zum niedlichen Tanzmädchen, der Knabe wickelte seinen Fuß aus den Lumpen – und siehe, es war ein normaler Fuß zum Laufen und Springen. Dem Zwerg schrumpfte der Buckel und sein Gesicht war wieder vorn. Was machte es, dass sein Wuchs unverändert der eines Kindes blieb.
    Nachdem alle ihre vorgetäuschten Gebrechen verloren und abgeworfen hatten, fassten sie sich bei den Händen und umtanzten den „Altar“ und den „Schrein“. Dann trat Tullius wieder zu uns und jetzt verbeugte er sich doch noch. Dabei schielte er nach meiner Tasche, in der die Goldmünzen steckten.
    Ich tauschte einen Blick mit Odo. Wir mussten lachen.
    „Seien wir barmherzig“, sagte Odo, „und belohnen wir sie für ihre Kunst. Für das andere sind sie nicht verantwortlich.“
    Ich stimmte zu und Tullius empfing seine Goldmünzen. Die Gaukler stießen ein Freudengeheul aus. Einer nahm übermütig die Knochen aus der Kiste, warf sie hoch in die Luft und jonglierte mit ihnen.
    Da trat Tullius rasch auf ihn zu. „Lass das, amiculus “, sagte er scharf. „Du beleidigst heiligen Theofried. Wir ihm Dank schulden.“
    „Theofried?“ rief ich.
    Alles verstummte und starrte mich an. Ich packte Tullius mit beiden Fäusten und schüttelte ihn.
    „Sagtest du Theofried? Theofried?“
    Das Froschmaul klappte ein paarmal nach unten.
    „Ich … ich nichts sagen“, stotterte er. „Ihr nichts fragen … war ausgemacht.“
    Ich ließ ihn los. Tullius gab seinen Leuten ein Zeichen und sie verzogen sich in ihre Ecke.
    Odo leerte noch einen Becher.
    „Wie ich schon sagte, Vater: ein Misthaufen!“
    Es wurde Nacht, doch ich fand keinen Schlaf. Ich ging hinaus und zum Wasser hinunter. Ein kühler Wind wehte, ab und zu fielen Regentropfen.
    Lange watete ich barfuß auf und ab durch das Schlammwasser des Flussufers. Ich konnte mich nicht beruhigen, gab mich meinen Empfindungen hin und stellte, wie vielleicht verständlich, alle möglichen wilden Vermutungen an. Natürlich führte das zu nichts..
    Schließlich beruhigte ich mich, indem ich ein Nachtgebet murmelte. Ich betete lange, den Kopf und die Hände gegen einen Baumstamm gepresst. Dann wollte ich ins Haus zurückkehren.
    Es war sehr dunkel, der Himmel war immer noch

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