Saxnot stirbt nie - Odo und Lupus Kommissare Karls des Grossen - Zweiter Roman
Überraschung vortäuschende Freudenrufe ausbrachen. Sich gegenseitig ins Wort fallend, erklärten sie, von dem Herrn Grafen ausgeschickt und mit der Suche nach uns beauftragt zu sein. Sie fügten in ihrer unbeholfenen Sprache hinzu, dass der Herr Graf sehr traurig sei und aus Sorge um seine Gäste nicht essen und trinken könne.
Dann führten sie uns auf dem kürzesten Weg zum Salhof. Erstaunlicherweise war er höchstens zehn Steinwürfe von der Stelle entfernt, wo wir uns schon fast verloren geglaubt hatten. Wir mussten mehrmals im Kreis gegangen sein.
Als wir uns dem Herrenhaus näherten, tönte uns schon von weitem „Heil!“-Geschrei entgegen. Hinter den Pfeilern der Vorhalle quollen, rollten, purzelten, stolperten an die dreißig, vierzig Männer hervor, um uns in Empfang zu nehmen. Es handelte sich um die Konviven des Vorabends, die alle schon wieder betrunken waren. Dabei war es, wie wir inzwischen feststellen konnten, noch heller Tag.
Unser Erscheinen löste ungehemmte Fröhlichkeit aus. Die Liudolfs und Liutgers und alle anderen schwenkten uns ihre Becher entgegen, stießen sich an und zeigten mit Fingern auf uns. Alles kicherte, prustete, johlte. Hatten wir zunächst den Eindruck gehabt, dass wir freudig begrüßt wurden, gab es jetzt keinen Zweifel mehr: Diese Sachsen machten sich über uns lustig.
Was boten wir aber auch für ein Jammerbild! Unsere Gesichter und Hände waren zerkratzt und geschunden. Odos Wams war an mehreren Stellen zerrissen, in seiner Hose klaffte ein Dreieck, das nacktes Fleisch sehen ließ. Um meine Kutte war es nicht besser bestellt. Dornenzweige hingen an uns und bis zu den Knien bedeckte uns eine schmutzige Kruste.
Während wir so von Heiterkeit umbrandet dastanden, stieg Odo die Zornesröte ins Gesicht.
„Was meinst du, Lupus“, zischte er, „könnte man das eine feindliche provocatio nennen?“
„Ich bitte dich, Odo, bewahre Ruhe!“, flüsterte ich.
„Und ich frage dich: Darf man es hinnehmen, dass die Stellvertreter des ruhmreichen Königs, der von der Elbe bis zu den Pyrenäen gebietet, von diesem Dorfpöbel beleidigt werden?“
„Es ist Übermut, weiter nichts.“
„Ich hätte Lust zu einem Waffengang.“
„Bist du von Sinnen?“
„Du betest ein Paternoster, Vater, und wenn du Amen sagst, sind fünf von den Kerlen geköpft, sieben entmannt, zehn ohne Ohren und zwölf ohne Nase. Der Rest wird die Flucht ergreifen.“
„Odo …“
„Dann schickst du dem Alten einen Bericht und schilderst ihm, wie wir den Tod des heiligen Theofried gerächt haben. Dafür wirst du sofort zum Bischof ernannt und ich werde Graf und Rotruds Gemahl. Wollen wir eine solche Gelegenheit ungenutzt lassen?“
„Du wärst dazu imstande, doch …“
In diesem Augenblick traten Volz und Gozbert aus dem Hause. Vielleicht hatten sie absichtlich etwas gezögert, damit die Liudolfs und Liutgers ihren Spott mit uns treiben konnten. Volz hob die Hand und gleich trat Ruhe ein. Er strich seine grauen Locken zurück, setzte ein gleißendes Lächeln auf und trat mit ausgebreiteten Armen auf uns zu.
„Unsere Verirrten!“, rief er pathetisch. „Gott dem Allmächtigen sei Dank, wir haben sie wieder! Meine Herren Königsboten, wir waren in größter Sorge. Hundert Männer sind ausgeschwärmt, um Euch zu suchen. Lasst Euch umarmen!“
Aus seinem Mund schlug mir Weindunst entgegen. Sein breites Kinn glänzte fettig. Er hatte sich offenbar doch nicht aus Kummer der Speise und des Tranks enthalten.
„Wolltest du auf eigene Faust jagen?“, fragte Gozbert Odo lachend, nachdem auch er uns umarmt hatte. „Eifersüchtig auf fremdes Jagdglück?“
„Es gibt hier für uns noch anderes zu tun!“, erwiderte mein Gefährte schroff.
„Wahr gesprochen, Herr Odo!“, sagte Volz. „Aber jetzt müsst Ihr Euch erst einmal von Euren Mühen erholen. Ein gutes Mahl und ein köstlicher Trunk werden Euch stärken. Auch ein Bad, wenn Ihr wollt …“
„Ihr habt mich nicht richtig verstanden, Graf.“
„Oh doch! Ihr wollt uns an Eure Pflichten erinnern. Aber warum alles überstürzen? Außerdem wird für Euch nicht viel zu tun bleiben. Wir sind schon fleißig am Werk gewesen und haben Euern Bericht vorbereitet.“
„Unseren Bericht?“, rief ich verblüfft.
„Ja, Vater!“, sagte Volz und ließ den sanften Blick seiner blauen Augen über meine verdreckte und zerrissene Kutte gleiten. „Eine Mitteilung an den Herrn König über Euer erfolgreiches Wirken bei uns. Ihr sagtet doch, dass Ihr sie
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