Saxnot stirbt nie - Odo und Lupus Kommissare Karls des Grossen - Zweiter Roman

die früheren Bewohner längst im Germanenhimmel sind.“
    „Ihr habt ihn unter die Steine gelegt?“
    „Ja, und ich glaube, das war das Beste für ihn. Wenn wir ihn christlich begraben, endet er in der Hölle. Habe ich Recht? Aber an diesem alten Heidengrab kommt vielleicht ab und zu noch eine Walküre vorbei und sieht nach, ob da einer drin ist. Ein Nachzügler. Und nimmt ihn dann mit nach Walhall.“
    Wir sahen uns an und mussten lachen.
    Plötzlich stahl sich in unser Gelächter ein hoher, zittriger Ton. Wir verstummten überrascht. Die Stimme kam aus der Richtung des Grabes.
    „Klingt ja schaurig“, sagte Odo. „Wie eine heisere Nachtigall. Ist das die, hinter der du her warst?“
    Aus einem der dicht belaubten Bäume stieg ein verworrenes „De profundis“ zum Himmel.
    „Herr, zu dir …
    O höre mich …
    Aus der Tiefe … ich rufe …
    Vergebung … Erlösung …“
    Der verrückte Mönch sang dem alten Heiden die Totenmesse. Er machte einen letzten Versuch, seine Seele zu retten. Mir fiel ein, dass ich nicht einmal an der Leiche ein Totengebet gesprochen hatte. Also hob ich die Hände und murmelte eines. Dabei blickte ich auf die Axt, die ich fallen gelassen hatte und die nun zu meinen Füßen lag. Und da war mir auf einmal, als verstünde ich etwas.
    Diese beiden Ausgestoßenen, die so lange im Wald miteinander gelebt hatten, waren vielleicht auf eine geheimnisvolle Weise verbündet gewesen.
    Odo hatte sich getäuscht, als er glaubte, er würde mühelos wieder aus dem Wald herausfinden. Obwohl er über reichlich Erfahrung als Jäger und Kundschafter verfügte, gingen wir bald in die Irre. Anfangs gelang es ihm noch, dem Weg, auf dem er mit Helko gekommen war, ein Stück zu folgen. Es waren schmale, gewundene Pfade, die immer wieder plötzlich vor einem Gebüsch, einem Bach, einem Erdloch endeten. Niedergetretene Sträucher und abgehauene Zweige dienten von Zeit zu Zeit als Wegweiser. Ein kurzer, heftiger Regenschauer und eine Rotte Schweine, die vor uns durch den Wald preschte, zerstörten jedoch alle Spuren und unsere Hoffnung, geradewegs zum Salhof zurück zu gelangen.
    Verbissen und schweigend, Odo das Kurzschwert, ich den Dolch schwingend, gelegentlich bis zu den Waden im morastigen Boden versinkend, bahnten wir uns einen Weg, wo immer er hinführte. Zu allem Unglück verschwand die Sonne für längere Zeit, sodass es stellenweise beinahe finster war. Vielleicht war es schon Abend? Odo glaubte, vom Salhof zur Waldhütte kaum eine Meile zurückgelegt zu haben. Inzwischen hatten wir aber wohl das Drei- bis Vierfache hinter uns..
    „Das wäre natürlich die bequemste Lösung“, meinte ich verzagt, als wir einen Augenblick ausruhten, „wenn wir beide uns hier im Wald verirrten und umkämen. Dann brauchten sie nur noch den armen Rouhfaz davonzujagen oder gleich umzubringen und eine königliche Abordnung hätte es nie gegeben.“
    „Ja, die Gelegenheit wäre günstig“, sagte Odo gedehnt, während er aufmerksam das Dickicht vor sich beobachtete. „Es sollte mich nicht wundern, wenn sie den Jungen, diesen Helko, weggelockt hätten. Damit wir allein und hilflos zurückblieben.“
    „Was meinst du? Ob sie uns folgen?“
    „Vermutlich. Es werden dieselben sein, die dir nachgeschlichen sind und die den Häuptling ermordet haben. Wahrscheinlich lauern sie in der Nähe.“
    „Mit dem Befehl, uns zu töten, falls wir wider Erwarten doch den richtigen Weg finden sollten.“
    „Ich halte unsere Freunde für schlauer. Was hätten sie davon, wenn sie uns umbrächten? Im nächsten Jahr bekämen sie wieder Besuch. Vielleicht gleich den Alten mit seiner Armee. Und dann könnte es brenzlig für sie werden. Nein, sie sagen sich vielmehr, zwei Tölpel, die im Wald umherirren, statt zu Gericht zu sitzen und unsere Machenschaften aufzudecken, können uns noch sehr nützlich sein.“
    „Und wie?“
    „Indem sie aus Dankbarkeit für ihre Errettung einen Lobgesang dichten, sagen sie sich. So einen mit Weihrauch und Honig, damit unserm Karlchen, dem Großen, wieder die Tränen kommen und er uns künftig mit solchen Besuchern in Ruhe lässt. Ich glaube, Bruder Lupus, wir können hier sitzen bleiben und warten. Da vorn raschelt es schon im Gebüsch. Wenn mich nicht alles täuscht, wird man uns gleich zufällig finden.“
    Odo behielt Recht. Wenige Augenblicke später tauchten tatsächlich aus dem Gebüsch zwei struppige, über und über mit Eisen behangene Kerle auf, die bei unserm Anblick gleich in lebhafte,