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Sayuri

Sayuri

Titel: Sayuri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carina Bargmann
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dem zweiten Paddel, aber Kiyoshi schüttelte wieder den Kopf.
    »Shio, schau nach, wie weit es noch ist!«, forderte Marje das Irrlicht auf. Sein Sirren verlor sich im Rauschen des Wassers, als er wieder ein Stück vorausflog und sie in tiefster Finsternis zurückließ.
    Kiyoshi biss die Zähne zusammen. Er ahnte, dass Shio unverrichteter Dinge zurückkehren würde. Aber er wollte Marje nicht den Mut nehmen. Wie lange hatten sie den Zentaurenwald durchquert, bis sie die Nordmine erreicht hatten? Die Mine war einfach zu weit von der Stadt entfernt.
    Ein Zug nach dem anderen, beschwor er sich.
    Du schaffst das.
    »Shio …«, rief Marje in die Dunkelheit. »Wie … weit!«
    Das Irrlicht leuchtete auf. Taumelnd kam es zurückgeschwebt, flog um Sayuris Kopf und begann wieder so schnell zu sirren, dass Kiyoshi gar nicht erst versuchte, den schnell aufeinanderfolgenden Worten zu lauschen.
    Das aufflammende Licht blendete ihn. Am liebsten hätte er mit einer Hand nach ihm geschlagen, aber er brauchte beide Hände, um zu paddeln. Das Rauschen des Flusses war mittlerweile zu einem ohrenbetäubenden Dröhnen angestiegen.
    Verschwommen nahm er wahr, wie Marje eine verzweifelte Geste machte.
    Er hatte recht gehabt.
    Shio war nicht fündig geworden.
    Seine Arme arbeiteten inzwischen wie Maschinen, die nicht mehr zu seinem Körper gehörten. Er spürte weder Schmerz noch Erschöpfung, aber er wusste, dass dieser Zustand nicht lange anhalten würde.
    Wach auf, flehte er im Stillen das schlafende Mädchen an. Doch selbst wenn Sayuri jetzt noch aufwachen sollte – hatten sie den Kampf nicht so oder so verloren?
    Wieder verengte sich der Flusslauf. Ihr Boot schrammte an einer Felswand entlang. Mit letzter Kraft stieß er sich von ihr ab, aber das Wasser drückte das Boot zurück. Ächzend prallten die Holzplanken erneut gegen den Stein.
    Kiyoshi ließ die Arme sinken. Das Paddel rutschte aus seinen Händen. Keuchend rang er nach Atem und dann spürte er, wie der Fluss das führerlose Boot mit sich riss.

6. Kapitel
    D as Rauschen von Wasser erfüllte ihre Ohren. Kühles Nass spritzte auf ihre Haut und wurde von einer weichen Hand weggewischt. Sanft streichelten Finger über ihre Wangen.
    Sayuri wollte die Augen öffnen, aber es gelang ihr nicht. Immer noch war alles um sie herum finster. Vielleicht hatte sie die Augen bereits offen und sie war nur in einem Raum, in dem Finsternis herrschte? Sie wollte sich aufrichten, konnte aber nicht einmal eine Hand heben. Keine Nacht konnte so dunkel sein!
    Wieder trafen Wassertropfen auf ihre Wangen. Das Rauschen schwoll an, wurde immer lauter. Sie hatte das Gefühl, dass sie sich bewegte. An welchem Ort war sie nur? Das Rauschen, die Tropfen erinnerten sie an einen Fluss, das Schaukeln ähnelte einem Boot bei starkem Wellengang. Oft genug war sie in der Stadt mit Marje auf dem Shanu gefahren. Sie hatte es geliebt, wenn der Wind das Wasser zum Schäumen brachte und Wellen gegen die flachen Boote schlugen, sodass feine Wassertröpfchen aufspritzten.
    Aber sie konnten nicht in der Stadt sein. Die Erinnerungen entzogen sich ihr, sobald sie nach ihnen greifen wollte. Irgendetwas war passiert. Flüchtig blitzten Bilder vor ihrem inneren Auge auf, aber sie konnte sie nicht festhalten. Marje, dachte sie und versuchte, sich an den Namen zu klammern. Ihre Freundin war bei ihr.
    Wieder streichelten die Finger sanft über ihre Wange. Marje.
    Ihre Haut prickelte unter der Berührung und unter dem kühlen Wasser, das wieder auf ihre Stirn und den Nasenrücken spritzte. Sie hatte das Gefühl, die Tropfen sehen zu können, sie nicht nur zu spüren, sondern in ihrer Gänze wahrzunehmen, ein wenig, als wären sie ein Teil von ihr.
    Abermals blitzten Bilder vor ihrem Auge auf, als würden die Erinnerungen langsam zurückkehren. Menschen, die vertrocknet in sich zusammenbrachen, nachdem sie ihnen alles Wasser entzogen hatte. Aber sie hatte Fehler gemacht. Sie hatte das Wasser nicht in Magie umgewandelt, nicht in sich aufgenommen, sondern nur den Körpern entzogen. Jetzt musste sie die Magie in sich aufnehmen. Vorsichtig tastete sie mit ihren Gedanken nach einem Wassertropfen, der genau zwischen ihren Augen auf ihrer Haut lag. Sie konnte ihn spüren, fühlte das Verlangen ihres Körpers nach seiner Energie.
    Erst versuchte sie, ihn einfach in sich aufzunehmen, ihn in sich hineinzuziehen, aber es gelang ihr nicht. Ihre Haut trennte sie von dem Wasser, eine natürliche Barriere, die sie erst noch überwinden

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